Pressestimmen


Kleine Zeitung - G7 - 19.09.2010
Madame 100.000 Volt
Entspannung war gestern für herbst- Intendantin Veronica Kaup-Hasler. Jetzt sorgt Hochspannung für Energiezufuhr. Ein Porträt.

Den heurigen Sommerurlaub hat Veronica Kaup-Hasler in Ligurien verbracht, "drei Wochen, das gab's noch nie". Nach zehn Tagen seien an ihrer Batterie endlich wieder die ersten grünen Lichter aufgeflackert.

Ein flotter Wochenendabstecher nach Venedig war Anfang September auch noch drin. "Und ganz privat!", schwärmt die herbst-Intendantin. Aber es ist unschwer zu erraten, dass sie in der Lagunenstadt nicht scheißfreundliche Tauben, sondern zwischen Canaletto und Biennale wohl doch ihr Hirn gefüttert hat.

Jetzt aber ist Entspannung längst von Hochspannung abgelöst. Die Batterien zeigen auf 100.000 Volt. Widerstände gilt es zu überwinden, das Energiezentrum im Palais Attems steht unter Strom. Im Büro wird derzeit das Ohm'sche Gesetz ins Künstlerische übertragen: U = R x I oder Spannung = Widerstand x Stromstärke. Die Hängematten aus herbst-Fahnen schaukeln bloß vom Vorbeiflitzen, vielleicht werden sie ja für Nächte des Durcharbeitens kurz gebraucht.

"Angst ist eine herrliche Energie", sagte die gebürtige Dresdenerin 2004, als sie sich erstmals in Graz vorstellte, "mit lustvollem Schrecken, zur herbst-Intendantin gekürt worden zu sein". Fürs Antrittsinterview erreichten wir sie damals am Handy im Zug, wo sie sich gerade um die wichtigste Sache der Welt kümmerte: Sie stillte ihren Sohn. Und da gibt es mit der Tochter noch eine zweite wichtigste Sache, aber dann kommen eh schon ihr Claus und der steirische herbst.

Ihre Idee von Kunst und Kultur als "Blicköffner auf die Gesellschaft, als Lebensmittel" wird also nicht zufällig auch durch ihre Kinder geprägt: Beim Interview verweist die 42-Jährige auf "Frederick, die Maus", die zum Unverständnis der anderen Mäuse Sonnenstrahlen, Farben und Wörter statt Nüsse und Beeren sammelt, ihnen damit letztlich aber über den harten Winter hilft. Das Erstaunen über den Ausflug in die Kinderbuchphilosophie dämmt Kaup-Hasler schnell ein: "Nein, nein, ich lese schon auch noch anderes, Henry Miller etwa", lacht sie laut auf. Weniger zum Lachen ist der Tochter einer ostdeutschen Sängerin und eines österreichischen Schauspielers, denen 1970 die Ausreise aus der DDR nach Wien glückte, wenn ihrem Festival mangelnde Internationalität und Ausstrahlung unterstellt werden: "Unkenrufe kommen meist von älteren Leuten, die sich melancholisch daran erinnern wollen, wie jung und wild sie doch früher waren. Die würde ich gern an der Hand nehmen, um deren Mangel an Kompetenz und Erfahrung mit dem jetzigen herbst auszuräumen."

Auch die merkwürdige Sehnsucht nach früher verteufelten Aufregern beim Avantgardefestival kann sie nicht nachvollziehen. Der Skandal als Kunstzweck(losigkeit) habe sich längst verbraucht: "Natürlich, wir könnten auch 50 nackte Kinder in die List-Halle stellen und eine Verbindung zur Kirche inszenieren . . ."

Veronica Kaup-Hasler kann mit dem Wegfall der Erregung als größter Provokation allerdings ganz gut leben.

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HERBST-PROGRAMM

"Meister, Trickster, Bricoleure" heißt es beim steirischen herbst 2010. Eröffnung am 24. 9. (19.30 Uhr) in der List-Halle Graz mit dem spartenübergreifenden "Maschinenhalle #1". Dauer bis 17. 10.

Karten: Tel. (0 31 6) 81 60 70.
www.steirischerherbst.at

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AUF AUGENHÖHE

Veronica Kaup-Hasler, geb. 1968 in Dresden, ihre Familie übersiedelte 1970 nach Wien.

Studium: Theater- und Politikwissenschaft, Germanistik.

Dramaturgin u. a. am Burgtheater und bei den Wiener Festwochen, bei den Salzburger Festspielen sowie am Theater Basel.

Leiterin des Festivals Theaterformen in Hannover.

Intendantin des steirischen herbsts seit 2006, bis 2014.


Michael Tschida



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