Pressestimmen


Die Presse - 26.09.2010
Virtuoses Schwindeln und Tricksen
Der diesjährige steirische herbst Meister, Trickster, Bricoleure

Können Sie einen Trick? Eine positive Beantwortung dieser Frage gilt als Eintrittskarte ins "Casino of Tricks", das ab 2. Oktober im Grazer Forum Stadtpark Quartier bezieht. Acht Tage lang wird diese kurios-komische Parodie auf die Glücksspielszene ihre Tore geöffnet halten. Das deutsche Künstlerkollektiv "geheimagentur" sammelt, handelt und vermittelt dabei magische, ökonomische, alltägliche oder außerordentliche Tricks und spielt nach nicht immer ganz astreinen, aber eben trickreichen Regeln.

   Sprengt die Bank! Das spielerische Ziel: die Bank des Casinos zu sprengen. Das künstlerische Ansinnen: auf Tricks als rätselhafte Kommunikationsform hinzuweisen. Das ist ganz im Sinne des Leitmotivs des bis 17. Oktober laufenden "steirischen herbsts": Mit "Meister, Trickster, Bricoleure" will Intendantin Veronica Kaup-Hasler die unterschiedlichsten Aspekte von Virtuosität herausarbeiten: Virtuosität im Sinne einer Strategie für die Kunst und fürs Überleben. Ein spannendes Thema in "Zeiten, in denen diverse Tricks, Finten, Betrügereien und Regelbrüche bevorzugt auf Kosten jener Menschen gehen, die ohnehin schon ausgegrenzt und um ihre Zukunft betrogen sind", so Kaup-Hasler bei ihrer Eröffnungsrede Freitagabend. Sie stellte damit das Thema in den vom Avantgardefestival erwarteten gesellschaftskritischen Kontext, auch wenn sich die Intendantin dagegen wehrt, vordergründig Aktualitätsbezüge herzustellen.

   Allein durch den Spielplan zeitlich aktuell ist die Arbeit der Französin Gisele Vienne. Denn nur noch heute, Sonntag, und morgen ist im Musiktheater Mumuth ihre diesjährige Arbeit "This is how you will disappear" zu sehen. Im Mittelpunkt steht dabei die Kunst des optischen Tarnens und Täuschens in einer zunehmend kälter werdenden Gesellschaft. Nebelmaschinen und Bäume geben eine unheilschwangere Kulisse ab, durch die zweifelhafte Protagonisten stolpern.

   Im öffentlichen Raum sichtbar wird der "steirische herbst" durch mehrere Installationen. So werden über Videoscreens am Grazer Jakominiplatz beziehungsweise über Bildschirme in Straßenbahnen die Auseinandersetzungen Kader Attias mit dem "Mythos der Ordnung" eingespielt. Einer der Höhepunkte ist die Schau "Utopie und Monument" von Sabine Breitwieser - die letzte, bevor sie als Kuratorin ans New Yorker MoMA wechselt.

   Weitere prominente Stationen im Programm: Franz West im Grazer Kunsthaus oder Mario Formenti, der sich über acht Tage täglich zwölf Stunden lang im Stadtmuseum als lebendes und Klavier spielendes Ausstellungsstück präsentiert: Ein herbstliches "Big Brother". Was im Zusammenspiel von alter Fernseharchivware und neuer Computersoftware alles möglich ist, zeigt Annie Dorsen in ihrer gestern, Samstag, im Grazer "Dom im Berg" uraufgeführten Arbeit "Hello Hi There". Zwei Sprachcomputer werden mit Inhalten einer TV-Diskussion zwischen dem Philosophen Michel Foucault und dem Linguisten Noam Chomsky von 1971 gefüttert - und beginnen selbstständig zu kommunizieren.

   Kollaboration Mensch - Maschine. Auch am Eröffnungsabend in der Helmut- List-Halle zeigte ein Künstlerquartett eine neue Dimension von Virtuosität in der Kollaboration von Mensch und Maschine. Der Komponist Bernhard Lang, die Choreografin Christine Gaigg, der Medienkünstler Winfried Ritsch und der Lichtdesigner Philipp Harnoncourt haben für ihre "Maschinenhalle@LJ1" eine bizarre Performance-Kulisse an der Nahtstelle zwischen Ausdruckstanz und Hightech-Fantasie entworfen. Ein Dutzend Tänzer "betraten" im wahrsten Sinne des Wortes die zwölf in der Halle aufgestellten Kleinbühnen. Mit verstörend monotonen Schritt-Kombinationen bearbeiteten sie die tischgroßen Metalltrittplatten und entlockten ihnen percussionähnliche Geräusche, die mit den Klängen aus computergesteuerten Automatenklavieren vermischt wurden. Die Tänzer wurden so zu Instrumentalisten, die Besucher zu Wandlern zwischen Klangminiaturen und zu Zeugen undurchschaubarer choreografischer Wechselbeziehungen zwischen den Tänzern. @LU




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