Pressestimmen


Der Standard - 06.10.2010
Konferenz der Meister und der Trickster
Versammlung von Koryphäen aus Kunst und Wissenschaft beim Steirischen Herbst: Jonathan Burrows und Matteo Fargion, ein Theorie-Ereignis und ein Kasino der Listigkeit.

Sie sind virtuos und charismatisch und durch ihre witzigen choreografischen Conférencen bekannt geworden. Trotzdem, mit Kabarett oder Comedy haben sie nichts zu tun. Der britische Choreograf Jonathan Burrows und der italienische Komponist Matteo Fargion tanzen und musizieren gemeinsam auf eine Art, die ihr Publikum staunen lässt und zum Lachen bringt.

   Mit ihrem Doppelprogramm Cheap Lecture und Cow Piece setzen sie ihre Erfolgsstory fort - beim Steirischen Herbst am 9. Oktober im Zusammenhang mit einer Konferenz zum Thema Virtuosität unter dem tänzelnden Titel Meister, Trickster, Bricoleure .

   Im Kunstfestival ist ein Theorieformat wegen des reichen, Zusammenhänge bildenden Programms rundherum gut aufgehoben. Hier stehen sich Künstler und Wissenschafter auf Augenhöhe gegenüber.

   Für die zeitgenössische Kunst ist Theorie ja nicht mehr Auswurf des Leibhaftigen, sondern verwertbares Material. Die Wissenschaft hat ihrerseits verstanden, dass künstlerische Strategien zu unkonventionellen Forschungsansätzen führen können.

   Das führt zu einer neuen Sichtweise von Kunst. Sie wird nicht mehr bloß von Genies, Propheten oder Unterhaltern als originäre Schöpfung in die Welt gesetzt. Vielmehr arbeiten Künstler heute verstärkt und trickreich an Wissensstrukturen außerhalb der ideologischen Regimes von Politik, Religion, Universität und Wirtschaft.

   Diese ungebundene Kunst kann ihrem Publikum über asymmetrische Strategien eine Lektüre der Welt außerhalb dieser Ordnungssysteme eröffnen. Wie sie das macht, ist den Künstlern und ihren institutionellen Umfeldern überlassen, die eine zunehmend symbiotische Beziehung leben.

   Vorbildlicher Herbst

   Der Steirische Herbst pflegt diese Beziehung vorbildlich. Das ist nicht überall so, denn von der öffentlichen Hand werden die Künstler zunehmend wie Bittsteller behandelt - oder vom sozialen Netz quasi ausgeschlossen. Damit sehen sie sich mehr und mehr in die Rolle des virtuosen Selbstvermarkters gezwungen. Ein gefährliches Spiel, das leicht zur Absorption durch ebenjene Logiken führen kann, gegen die Kunst eigentlich antritt.

   Entlang der Grenzen von Kunst, Arbeit, Politik und Ökonomie entwickeln sich daher, so die These der Konferenz mit dem Untertitel "Virtuosität als Strategie für Kunst und Überleben", neue Denkmuster. In seinem jüngst erschienenen A Choreographer's Handbook bezeichnet Jonathan Burrows die Virtuosität als "negotiation with disaster". Denn man kann ja auch scheitern. Das Publikum scheint oft auch regelrecht auf den Sturz des Könners zu warten oder darauf, dass ein Trick nicht klappt.

   Mit im ganztägigen Theorie-Ereignis sind Burrows und Fargion, die unter dem Motto Bodies, Dance & Nothing auf die Berliner Tanztheorie-Koryphäe Gabriele Brandstetter treffen. Die Kuratorin und Kunsttheoretikerin Brigitte Felderer und der Mathematiker und Spieltheoretiker Pierre Basieux reflektieren über Magic, Maths & Gamble .

   Yann Moulier Boutang, Ökonom und Essayist, und Ralph & Stephan Heidenreich ( Mehr Geld , Merve Verlag 2008) begeben sich in den Dschungel von Money, Mind & Manipulation . Das Abschluss-Statement kommt von dem berühmten Literaturwissenschafter und Medientheoretiker Friedrich Kittler.

   Im Vorfeld werden - der Standard berichtete - von dem deutschen Kollektiv Geheimagentur in deren Casino of Tricks alle möglichen Arten von Listigkeiten gesammelt und gehandelt. Passend zur Konferenz und in bravouröser Reaktion auf den trotz Finanzkrise ungebremst weiterzockenden Kasinokapitalismus.

   >> Cheap Lecture & Cow Piece: Dom im Berg, 8. 10., 21.30, und 9. 10., 19.30

   >> Konferenz "Meister, Trickster, Bricoleure": Festivalzentrum im Forum Stadtpark, 9. 10., 11.00-20.30

   >> Casino of Tricks, im Festivalzentrum, bis 9. 10., 16.00-1.00


Helmut Ploebst



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