Pressestimmen


Kleine Zeitung - 17.10.2010
Sinnlich und sinnfrei
Kunst muss nicht wehtun, um anspruchsvoll zu sein. Das hat Intendantin Veronica Kaup-Hasler schon vielfach bewiesen, ohne deshalb das selbst gesteckte Niveau des steirischen herbstes zu verlassen. Auch beim heute zu Ende gehenden Festival war wieder viel

 Vor dem Hintergrund der Wirtschaftsblase wollte man zeigen, wie auch Kunst und Kultur zum Überlebenstraining gehören, wenn humane Werte in den Keller rasseln wie die Aktien an der New Yorker Börse. Es ist natürlich schwer, ein 24-tägiges Programm samt und sonders auf das Generalthema hinzutrimmen, aber man schaffte durchwegs überraschende Zugänge, von denen das "Casino of Tricks" das erfrischendste war. Die Beiträge zur bildenden Kunst waren erneut höchst beachtlich. Auf den Bühnen stachen die William Forsythe Company und die selbst produzierte "Enzyklopädie des ungelebten Lebens" heraus; bei den Koproduktionen hatte man diesmal allerdings das Gefühl, Wanderzirkussen von teils trauriger Qualität beizuwohnen. Das "musikprotokoll" stützt weiterhin erfreulich die heimische Szene, man würde sich aber manchmal wünschen, bezüglich Interpreten und Komponisten nicht "Und jährlich grüßt das Murmeltier" zu erleben.

   Schwellenängste zu nehmen, ist heuer speziell mit Marino Formentis Klaviermarathon gelungen: auch sinnlich, spielerisch, anspruchsvoll. Anspruchsvoll kommt von ansprechen, womit wir bei der Kommunikation sind. Die ist bekanntlich das, was beim Empfänger ankommt, was sich seit Großmeister Peter Weibel offenbar nie bis zum herbst durchgesprochen hat. Denn Festival- und Abendprogramme und schon gar das aufwendige Theorie-Magazin lösen beim Leser oft bloß ein "0", ein "?" oder ein "??" aus. Die Hermetik der Texte voller "Setzungen", "Interventionen" oder "psychogeographischer offener Sphären" geht zuweilen hart an die Grenze der Sinnfreiheit, total im Widerspruch zur oben genannten Sinnlichkeit. Vielleicht sollte man, ganz im Stile des Festival-Spruchs, endlich einmal bei den Setzungen der cerebralen Onanie intervenieren.

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   michael.tschida@kleinezeitung.at


Michael Tschida



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