Pressestimmen


Die Presse - 17.09.2010
Die wollen nur SPIELEN
VERONICA KAUP-HASLER, Intendantin des Steirischen Herbstes, erzählt, was Hedgefonds-Manager und koreanische Teufelsgeigerinnen gemeinsam haben.

Wer spielt am raffiniertesten, und worum wird gespielt, außer um Geld? Sind Börsenmakler auch Virtuosen und Meistermusiker auch Taschenspieler? Müssen wir nicht alle jonglieren können- im Alltag zwischen Beruf und Familie? Solche und ähnliche Fragen werden heuer heim Steirischen Herbst gestellt und auf künstlerische Weise beantwortet: Die Grenzen zwischen den Sparten scheinen dabei zunehmend verschwunden. Auch eine Art von Zaubertrick. Was sagt Intendantin Veronica Kaup-Hasler dazu?

Das heurige "Herbst"-Motto lautet "Meister, Trickster, Bricoleure." Wem gehen Sie am leichtesten auf den Leim?

Veronica Kaup-Hasler: Als Studentin habe ich in Berlin einmal 50 Mark beim Hütchenspiel verloren, das war für mich sehr viel Geld. Ich habe viele Male richtig geraten, aber natürlich nicht realisiert, dass die Umstehenden Teil des Betruges waren. Und das irritiert mich schon nachhaltig, wenn ich nicht erkennen kann, wie einer so was macht.

Wie sind Sie auf das ungewöhnliche Motto gekommen?

Der Virtuose und der Trickster sind ja oft dieselbe Person. Das Tricksen ist die spielerische Variante eines Themas, das durchaus sehr ernst ist. Wir leben in einer Zeit, in der wir erkennen, dass alles, was wir in den Achtzigerjahren als Formate des Turbokapitalismus als gegeben akzeptiert haben Hedgefonds usw. auf Sand gebaut ist. Da vermischt sich Seriosität mit Fälschung, Trickstertum. Es wird Produktivität vorgetäuscht, die es so gar nicht gibt. Das ist ein ausgefeiltes System, das im Gewand des Demokratischen und des Gemeinwohls daherkommt: Es wird ja kein aggressivei; unsozialer Kapitalismus zur Schau gestellt. Dieses Verkleiden und Simulieren eines wirtschaftlichen Prozesses, der eigentlich jeglicher Realität entbehrt, hat viel mit einem pervertierten Virtuosenturn zu tun. Dahinter steckt Brillanz, aber eben auch die Ideologie eines Taschendiebs, der sich bereichern möchte.

Virtuosentum ist doch normalerweise etwas Bewundernswertes.

In der zeitgenössischen Kunst begegnen wir dem Virtuosentum, der reinen, ja auch Beifall heischenden Meisterschaft, auch mit einer gewissen Skepsis: Denken Sie an die koreanischen Teufelsgeigerinnen, die auf YouTube mitten in der Meeresbrandung, die Füße im Wasser, scheinbar unbeeindruckt spielen. Aber selbst Paganini hat das Publikum getäuscht, das glaubte, aufgrund des hohen Tempos auch Töne zu hören, die er tatsächlich gar nicht spielte.

Was empfehlen Sie beim heurigen Festival?

Wenn man eine große Familie hat und gefragt wird, welche Kinder sind die schönsten, ist das natürlich nicht einfach. Aber ich greife einmal ein paar Sachen aus den verschiedenen Sparten heraus. Es gibt zunächst den großen Anfang, eine Eigenproduktion, eine Uraufführung, ein außergewöhnlicher Kompositionsauftrag, bei dem vier österreichische Künstler zusammenarbeiten: der Komponist Bernhard Lang, die Choreografin Christine Gaigg, Winfried Ritsch für die Elektronik sowie der Bühnenbildner und Lichtdesigner Philipp Harnoncourt. Das wird großes Maschinentheater in der List-Halle mit zwölf Automaten-Klavieren und Tänzern. Da bin ich schon sehr gespannt. Weitere wichtige Programmpunkte: Erstmals kommt der weltberühmte Choreograf William Forsythe mit seiner Kompanie nach Graz. Sabine Breitwieser, die im New Yorker Museum of Modern Art Chefkuratorin für Medien- und Performancekunst wird, macht ihre letzte Ausstellung bei uns, bevor sie nach Amerika geht: den zweiten Teil von #Utopie und Monument."

Sie habenden Steuerbetrüger Werner Rydl eingeladen. Feiern Sie Steuerbetrug?

Wir feiern ihn nicht, sondern wir stellen die Realität dar und zur Diskussion. Das Linzer Künstler-Kollektiv qujOchÖ befasst sich mit der Virtuosität des Finanzkapitalismus ("Das große Manöver"). Ferner haben wir die Hamburger "geheimageritur" eingeladen, ein Projekt für uns zu entwickeln. Dabei geht es um ein Casino, wo man seine eigenen Tricks gegen echtes Geld einsetzt so lange, bis die Bank gesprengt ist.

Was ist mit dem Alltag? Braucht man da auch Virtuosen?

Tatsächlich ist es das, was uns am meisten interessiert: Virtuosität wird immer mehr zur Alltagsforderung für jeden Einzelnen: Wie schafft man es, Arbeit, Beruf, Kinder, Freunde, Lifelong Learfing, Auslandserfahrung, kurz das ganze Multitasking, zu bewältigen? Welche Virtuosität braucht es zum Überleben in prekären Lebensumständen?

Ihr Vertrag läuft bis 2014. Wie lange wollen Sie noch Herbst-Intendantin sein?

Ich bin so absorbiert vom jeweiligen Festival, dass ich darüber nicht nachdenke. Mein Motto ist: carpe diem. Who knows? Ich habe eine große Freude an der Arbeit und auch jede Menge Ideen.

Was ist programmatisch das Wichtigste?

Für uns ist es wichtig, immer Themen zu finden, die auf Fragen der Gesellschaft reagieren, die aber auch fruchtbar und spannend sind in der Kunst. Der "Herbst" ist kein soziologisches Institut und keine Universität. Ich möchte, dass man sieht, hier wird im Rahmen der Kunst differenziert nachgedacht, wie sich die Dinge zueinander verhalten, wie man eine Fülle von Kunstereignissen einem Publikum vermittelt und Erfahrungen teilt.

"Selbst Paganini hat das Publikum getäuscht mit seinem Tempo."

TIPP

STEIRISCHER HERBST 2010 24.9. bis 17.10. www.steirischerherbst.at



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