Pressestimmen


Falter - 29.09.2010
Brennpunkt Sockel
Die Kunst ganz nahe zum Betrachter zu bringen, ist eine trickreiche Sache. Der steirische herbst macht‚s ˆ nicht ganz freiwillig ˆ vor.

Direktheit zwischen Kunst und Betrachter respektive Benutzer herzustellen, ist im Ansatz so klassisch avantgardistisch wie letztlich diffizil. Mit Franz West zeigt das Kunsthaus Graz ˆ in einer übrigens schlüssig auf das skulpturale Werk fokussierten Version einer gemeinsam mit dem Kölner Museum Ludwig und dem MADRE, Neapel produzierten Retrospektive ˆ jedenfalls einen Künstler, dem in Sachen unmittelbarer Anverwandlung durchaus Virtuosität zugesprochen werden kann. Schließlich sind seine ≥Passstücke„ der Versuch, Mensch und Kunstwerk so hautnah wie möglich zusammenzubringen, wenn nicht gar ineinander aufgehen zu lassen: Formen aus Pappmaschee, die man sich überstülpen kann oder mit denen man sich in eine Kabine zurückziehen soll, um dort gemeinsam mit ihnen zur Skulptur zu werden. In der Arbeit ≥Integral„ beschränkt sich West überhaupt auf die Anweisung, hinter einem Paravent heftig zu gestikulieren. Erwin Wurm hat seine so berühmten wie letztlich hohlen One Minute Sculptures hier gelernt.

   Der Anstoß, die Kunst so richtig zu demokratisieren, auf die Höhe des Menschen herunterzubiegen, ging überhaupt entscheidend von der Skulptur aus. Seit Auguste Rodins ˆ zumindest in einer Aufstellungsvariante ˆ ganz ohne hohes Podest auskommenden ≥Bürgern von Calais„ ist der Sockel eines ihrer heißesten Themen. Auch dazu hat Franz West, neben Alberto Giacometti, Constantin Brancusi oder Piero Manzoni, die wohl nachdrücklichsten Beiträge geliefert: sei es mit der Metamorphose der Skulptur zum Sitzmöbel, sei es mit der direkten Ironisierung des Sockels als Kasten oder Arbeitstisch. Und auch die Tragik, die hinter solch erfolgreichen Kunstwerken lauert, zeigt West wie kaum ein anderer: Einmal Teil eines gefeierten Kunststar-Oeuvres, saugt der Museums- oder Kunstraum an ihnen, versperrt sie schließlich in Vitrinen, verbannt sie hinter Absperrungen oder lässt sie aus konservatorischen Gründen erst gar nicht mehr aus ihren Transportkisten heraus.

   Am einfachsten schien der Kunst deshalb die Unmittelbarkeit garantiert, wenn sie den Kunstraum freiwillig verlässt, sich den Leuten auf der Straße ungeschützt aussetzt, selbst also Teil des öffentlichen Raumes wird. Franz West, aber auch der steirische herbst selbst sind damit groß und alt geworden. Die Verhüllung der Mariensäule nach dem Vorbild einer Nazi-Festdekoration im steirischen herbst des Gedenkjahres 1988 durch den deutschen Konzeptkünstler Hans Haacke führt eine Reihe pointierter, inzwischen zu Recht als ≥legendär„ apostrophierter Kunstinterventionen an.

   Freilich wird die Sache mit der Öffentlichkeit in Zeiten, in denen kein Kunstskandal mehr zu berechnen ist, zunehmend schwierig. Bezeichnend, dass sich die Konservativsten inzwischen an Harmlosigkeiten verbeißen müssen, wie am von Michael Schuster für die Rathausfassade entworfenen, ebendort aber unerwünschten und daher in den medialen Raum verdrängten Schriftzug ≥AUFEINWORT„. Wenn Utopie und Monument II, der zweite Teil der von Sabine Breitwieser für den steirischen herbst kuratierten und im Stadtraum verteilten Ausstellung, in deren Rahmen auch Schusters Arbeit konzipiert wurde, nach der ≥Virtuosität des Öffentlichen„ fragt, dann um auszuloten, wie künstlerische Zeichensetzungen heutigentags im öffentlichen Raum noch sinnvoll einzuschleusen wären, was dabei gewissermaßen das richtige Mischungsverhältnis von Beton und allzu Menschlichem wäre. Letztes Jahr lief das auf eine wohl ironisch gemeinte Affirmation des eher beliebig ausgestreuten Skulpturalen hinaus.

   Heuer stammt die plausibelste Antwort, in welcher Form Öffentlichkeit und Kunst zusammenzubringen sind, von Andrea Fraser bzw. einer von ihr angestoßenen soziologischen Studie über das soziale, ökonomische und kulturelle Kapital des steirischen herbst, deren Ergebnisse an den Standorten der übrigen Kunstwerke auf Grafiken dargestellt sind. Sonst reicht das Spektrum an Lösungsansätzen von abstrakt bunten Bildern, die betastet oder auch zerlegt werden wollen, über Zeichenimporte, die ihr Umfeld neu lesbar machen, wie die von Paulina Olowska in das modernistische Ensemble des Andreas-Hofer-Platzes integrierten Reproduktionen polnischer Leuchtreklamen, bis hin zu Interventionen, die offenbar mit der Wahrnehmungsschwelle spielen und also auch hier nicht erwähnt werden sollen.

   Einen ganz anderen Weg hat seit Jahren der Kunstverein eingeschlagen. Ihm ging es nie um ein Möblieren des öffentlichen Raums mit künstlerischen Zeichensetzungen, die zwischen ≥site specificity„ und ≥drop sculpture„ lavieren, nie um einzementierte Monumente also, sondern tatsächlich um Partizipation. Der öffentliche Raum wird dabei nicht nur als räumliches Faktum, als bespielbare Bühne, sondern weit mehr als eine sich aus Kommunikationen erst ergebende Größe aufgefasst.

   Die Ausstellung ≥Die Welt in wenigen Schritten„, Teil des Projekts ≥Annenviertel!„, zeigt die Ergebnisse längerfristig angelegter, breit kooperierender Workshops und Austauschprojekte, in denen gezielt auf die Leute im Raum rund um die Annenstraße zugegangen wurde und wird. Tere Recarens etwa lud die Bewohner des Idlhofs ein, Statements zum Thema Nachbarschaft auf weiße Tafeln zu zeichnen, Paola di Bello hat Mitglieder der Ortsgruppe Lend des Pensionistenverbandes vor der architektonisch vielsprachigen Kulisse neben dem Volksgartenpavillon seriell porträtiert, die gebürtige Leobenerin Marlene Hausegger verschönte mit ≥Windows, out„ den Bewohnern des Hauses Annenstraße 39 ganz konkret das Leben, und ILA baute gemeinsam mit Karin Lernbeiß und den Jugendlichen des Jugendzentrums YAP aus Erdschollen einen Meteoriten, der nach urzeitlichem Vorbild der Same neuen Lebens werden könnte.

   Ob die solcherart produzierten Werke dereinst auch einmal museal weggesperrt werden?

   ≥Franz West. Autotheater„, Kunsthaus Graz, bis 9.1.2011

   ≥Utopie und Monument II„, öffentlicher Raum, bis 17.10.

   ≥Die Welt in wenigen Schritten„, Kunstverein , bis 20.11.

Ulrich Tragatschnig



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