Pressestimmen


Der Standard - 21.09.2010
Hilfe beim Erklimmen der Festung
Seit bald zehn Jahren bearbeitet das Wiener Theaterkollektiv Fritzpunkt das immense Werk der Autorin Marianne Fritz. In Graz wird ihr Romanfragment "Naturgemäß III" erstmals veröffentlicht.

Die beinahe auf den Tag genau vor drei Jahren verstorbene Schriftstellerin Marianne Fritz hat ein außergewöhnliches Werk hinterlassen. Ihr Lebenswerk nannte die Dichterin, die zurückgezogen in der Wiener Schottenfeldgasse lebte und seit den 1970er-Jahren in regelmäßigen Abständen ihre zunächst viele hundert, bald mehrere tausend Seiten umfassenden Romanen veröffentlichte, "die Festung": ein gewaltiges, monströses, uneinnehmbares Textgebilde. Eine Welt für sich.

   Jeder Versuch, die Lage und Bauweise dieser Festung, also den Inhalt und Antrieb der Fritz-Literatur zu benennen und damit festzulegen, kann nur scheitern. Marianne Fritz sagte 1996 selbst über ihre Arbeit, im Grunde werde "das Kollektivgeschehen namens Krieg vollkommen in die Sprache hinein verrückt, auf eine Weise, dass der Lesende seine Unschuld wieder bekommen kann, er ,erfährt' den literarisch aufgehobenen Krieg als das ganz andere."

   Vergriffene Textberge

   Seit bald zehn Jahren bemüht sich das von Fred Büchel und Anne Mertin geleitete Theaterkollektiv Fritzpunkt um die Aufarbeitung, man könnte besser sagen: Übersetzung der Fritz'schen Werke. Insbesondere die letzten drei Romane Naturgemäß I und II (erschienen 1996 und 1998 bei Suhrkamp, mittlerweile vergriffen) mit insgesamt etwa 7000 Seiten und Naturgemäß III , der als 650 Seiten starkes Fragment hinterblieben ist, sind einem Leser schwer zumutbar. Mit zahlreichen Theaterperformances, Lesungen, Kunstaktionen und Ausstellungen (etwa auch bereits 2008 beim Steirischen Herbst mit einer aufsehenerregenden elftägigen Nonstop-Lesung des Romans Dessen Sprache du nicht verstehst aus dem Jahr 1985) macht Fritzpunkt diese Texte einem breiteren Publikum zugänglich.

   Bei Naturgemäß III , dem Fragment, das den Theaterleuten erst seit Marianne Fritz' Tod 2007 zur Verfügung steht, sei nun für den Leser endgültig Schluss, erzählen Mertin und Büchel: "Dieser Text funktioniert nahezu nur noch optisch. Er ist nicht mehr lesbar."

   In der Textausstellung beim Steirischen Herbst 2010 wird dieses Fragment erstmals veröffentlicht. Der Titel der Ausstellung im Grazer Literaturhaus dient mit einem Fritz-Zitat als Wegweiser: "Was normal ist, entscheidet in letzter Instanz jenes Kräfteverhältnis, das auf einem bestimmten Gelände die Bedeutungsgeschichte fürs Normale übernommen hat."

   Sich in den Text einschreiben

   Alle 650 Romanseiten hängen in den drei Ausstellungsräumen aus. "Wir tapezieren Fritz", sagen Mertin und Büchel. Der Ausstellungsbesucher ist aufgefordert, sich der freien Assoziation hinzugeben, sich in die Textbilder der Marianne Fritz einzuschreiben, diese zu überschreiben. Eine inspirierende Vorreiterrolle sollen dabei sechs junge Grazer Autorinnen und Autoren übernehmen, unter ihnen Michaela Falkner, Stefan Schmitzer, Clemens J. Setz und Gerhild Steinbuch.

   Es gehe zunächst darum, den Text, besser: die Textbilder sichtbar zu machen. Denn die Verlegung des Werkes bei Suhrkamp steht noch aus. Auch werden im Grazer Literaturhaus für die Dauer der Schau sämtliche, zum Teil vergriffene Werke der Autorin zur Lektüre bereitliegen. Auch die Kollegen von Fritzpunkt sind in Graz ständig vor Ort, geben Orientierung und lassen sich in Gespräche verwickeln: etwa über neue Erkenntnisse über die Arbeitsweise von Marianne Fritz. Mertin und Büchel sind nach eingehendem Studium davon überzeugt, dass die Ausnahmeschriftstellerin an den drei Teilen von Naturgemäß parallel geschrieben haben muss. "Sie hatte alles formal geordnet. Sie muss 5500 Seiten auswendig im Kopf gehabt haben!"

   >> 28. 9. - 8. 10., Literaturhaus Graz, freier Eintritt, Infos: www.fritzpunkt.at; Vernissage am 28. 9. um 19.00

Bild: In voller Länge im Literaturhaus Graz tapeziert und damit erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht: das 650 Seiten umfassende Romanfragment "Naturgemäß III". Foto: Fritzpunkt

Isabella Pohl



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