Pressestimmen


profil - 20.09.2010
Gier ist geil
steirischer herbst. Das Kunstkollektiv qujOchÖ analysiert die Strategien und Eigenarten von Wirtschaftskriminellen und macht den Steuerbetrüger Werner Rydl zum Teil einer Installation.

An der Wall Street trug er den Spitznamen ≥Ivan der Schreckliche„; mit seinen verbotenen Insidergeschäften häufte er ein Millionenvermögen an. An der University of California hielt Ivan F. Boesky 1986 eine legendäre Rede: ≥Es ist gut, wenn man habgierig ist. Du kannst gierig sein und dich dabei gut fühlen.„ Die Studenten spendeten dem bereits per Gericht Verurteilten Standing Ovations.

Sie war die Königin der deutschen Herzen: Rund zwei Millionen D-Mark investierten gutgläubige Anleger in Damara Bertges‚ ≥European Kings Club„ ˆ dabei gab es nicht einmal ein Geschäftsmodell. Sie inszenierte einen Feldzug gegen das Großkapital und wurde selbst reich, indem sie Kleinanlegern mit ihrem Pyramidensystem das Geld aus der Tasche zog. Als der Betrug 1994 aufflog, reisten ihre Anhänger in Bussen zum Prozess und feierten die milliardenschwere Kriminelle noch auf der Anklagebank als Heldin.

Werner Rydl führte das österreichische Finanzamt jahrelang an der Nase herum. 1989 kündigte er offiziell an, dass er fortan keine Steuern mehr bezahlen werde. Geschätzte 4,9 Milliarden Euro entzog er mit dubiosen Import-Export-Geschäften dem heimischen Staat. In Brasilien, wohin er sich abgesetzt hatte, lebte er seinen Hang zu spektakulären Inszenierungen aus: Ein auf YouTube zugängliches Amateurvideo zeigt ihn, wie er 2002 eine Summe von (laut Eigenangabe) 290 Millionen Schilling verbrennt. Beim Treffen mit profil in Baden, wo er derzeit auf seinen Prozess wartet, wundert er sich nun, ≥dass bisher niemand auf mich böse war ˆ immerhin habe ich jeden Steuerzahler dieses Landes um 625 Euro geprellt„.

Sie alle logen, betrogen und bedienten sich schamlos und werden dafür noch geliebt? Betrachtet man die Biografien der bekanntesten Wirtschaftskriminellen des 20. und 21. Jahrhunderts, fragt man sich erstaunt, wie das alles möglich war: mit welch offen zur Schau getragenen Frechheit diese Menschen ihre Verbrechen begangen haben und ˆ noch erstaunlicher ˆ die gesellschaftliche Akzeptanz, die ihnen mitunter entgegengebracht wird.

≥Eine Gemeinsamkeit vieler Wirtschaftsbetrüger ist ja gerade dies: Sie sind schillernde Persönlichkeiten„, sagt Thomas Philipp, Mitglied des Linzer Kunstkollektivs qujOchÖ, das derzeit für das Grazer Crossover-Festival steirischer herbst das ≥Tricksterwesen im Kapitalismus„ unter die Lupe nimmt. Zahlreiche Fälle haben sie recherchiert, analysiert und verglichen und sind dabei auf interessante Übereinstimmungen gestoßen: ≥Ein wesentliches Merkmal der Trickster ist: Sie schaffen ein Trugbild in der Öffentlichkeit, dem man gerne glauben will„, erklärt Philipp.

Das Steuerphantom Werner Rydl zeigt sich im profil-Interview im Gasthof Rudolfshof in Baden angriffslustig und ironisch. Er hat offenbar Spaß daran, seine Umwelt zu foppen. Er habe in seinem Steuer-Embargo-Brief bereits vor Jahrzehnten angekündigt, was er tun werde, daher könne er kein Betrüger sein. ≥Man hätte mich nur stoppen müssen„, so Rydl, der die Thesen der Künstler bereits manisch aufgesaugt hat. ≥Das ist doch das Wesen eines Tricksters: Seine Tricks sind so transparent, dass die Menschen und der Staat wie versteinert wirken und reaktionslos bleiben.„ In der Tat: Rydl hat das Steuersystem mit seinem Embargo offenbar überrascht und überfordert. Auch dies zeichnet zahlreiche Mega-Betrugsfälle aus: Obwohl alle Fakten offen auf dem Tisch liegen, versagen die zuständigen Kontrollinstanzen langfristig.

Göttlicher Schelm. Es ist wohl eine heikle Gratwanderung, wenn man Werner Rydl ein künstlerisches Forum für seine provokanten Thesen gibt (siehe auch Interview-Kasten), in denen Wirtschaftskriminalität als Protestaktion gegen den österreichischen Staat beschönigt wird. Dabei sind die Grenzen zwischen Kunst und Verbrechen recht eindeutig zu ziehen: In der Kunst kommt schließlich kaum jemals jemand zu Schaden. ≥Diese Trennlinien sind uns bewusst„, sagt Andre Zogholy von qujOchÖ über das Kunstprojekt ≥Das große Manöver„. ≥Wir wollen diese Personen auch nicht zu Künstlern erheben, sondern versuchen, diese Fälle kritisch mit künstlerischen Mitteln zu bearbeiten.„

Dabei greift die Gruppe auf den englischen Begriff des ≥Tricksters„ zurück, der historisch eindeutig auf einen Betrüger verweist. In Deutschland allerdings gibt es etymologisch auch eine andere Wendung: den göttlichen Schelm, der den Menschen einen Spiegel vorhält, um sie auf ihr Fehlverhalten aufmerksam zu machen. ≥Bei einem Trickster ist nie ganz klar herauszufinden, was in seinen Handlungen noch moralisch und was schon amoralisch ist„, erklärt Philipp. Selbst bei kaltblütigen Kriminellen wie Ivan F. Boesky findet sich, zumindest für die Kunstgruppe qujOchÖ, dieses schillernde Element der Irritation. ≥Wenn er seine berühmte, Gier ist gutŒ-Rede ˆ die auch durch den Film ≠Wall StreetŒ bekannt wurde ˆ an einer anerkannten Universität halten konnte und mit frenetischem Applaus bedacht wurde, dann muss man das System selbst hinterfragen„, meint Philipp. ≥Wenn im Kapitalismus die Gier zu einem moralischen Wert verfremdet wird, deckt der Verbrecher indirekt auch ein grundlegendes gesellschaftliches Versagen auf.„ Die Recherchen von qujOchÖ haben zudem eines ergeben: ≥In Krisenzeiten war stets eine Konjunktur der Trickster zu beobachten ˆ und unsere technischen Möglichkeiten haben, wie die aktuelle Wirtschaftskrise beweist, die Lücken für Betrug sogar potenziert.„

Werner Rydl ist staatenlos, seit ihm die brasilianische Staatsbürgerschaft aberkannt wurde. Bewegung ist in seinen Fall kürzlich gekommen, weil das brasilianische Höchstgericht nun entscheiden muss, ob diese Aberkennung rechtswidrig war. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, wäre die Auslieferung nach Österreich illegal gewesen und Rydl könnte nach seinem Prozess, also noch diesen Herbst nach Brasilien zurückreisen und dann womöglich auch auf sein ˆ an unbekanntem Ort angelegtes ˆ Geld zurückgreifen. Von seiner vermeintlichen Protestaktion profitiert dann allerdings nur einer wirklich: Rydl selbst. Die allgemeine Sympathie für ihn hielte sich wahrscheinlich in Grenzen.

Bild: Ein Platz an der Sonne Der Steuerbetrüger Werner Rydl (Foto Mitte) mit Andre Zogholy (li.) und Thomas Philipp von der Linzer Kunstgruppe qujOchÖ

Karin Cerny



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