Pressestimmen


Der Standard - 11.10.2010
Blechorgel und Kanalmusik Musikprotokoll mit Klangskulpturen, Uraufführungen


Das Schöne am Steirischen Herbst und dem in ihm eingebetteten Subfestival Musikprotokoll rührt auch daher, dass man mitunter nicht genau weiß, woher die Musik einlangt. Scheint verzeihlich. Es darf ein Weilchen vergehen, bis man, vor der Helmut-List-Halle stehend, registriert, dass da tatsächlich von einer kleinen Baustelle her (aus einem Kanal) Chöre und andere vom Band kommende Köstlichkeiten erschallen.

   Wobei: Erst nach Begutachtung des Kanaldeckels wird der Herkunftsort zur Gewissheit; zudem auch, dass all dies kein Zufall ist. Man hört quasi aus der Erde die Bearbeitung der Hymne des "State of Sabotage", schließlich sind dessen Wappen und Adresse (www.sabotage.at) auf dem Deckel angebracht. Nicht nur den Hörer allerdings, auch Musiker bringt das Musikprotokoll bisweilen in ungewohnte Spiellagen.

   Die vierzehn Trompeter, ebenso viele Posaunisten und sieben Tubisten (wir sind nun in einer anderen Gegend von Graz) waren sicher nicht oft im Kreis um einen solchen gordischen Instrumentalknoten versammelt. Selbiger stammt von Constantin Luser, nennt sich "Molekularorgel" und strahlt als Röhrenskulptur auf dem Dach der Neuen Chemie der TU Graz. So stehen die Klangerzeuger lustig um die "Molekularorgel" postiert und lassen zur Einweihung Peter Jakobers Stück Puls 4 als mal sanfte, dann wieder volle Klangpracht entfaltende Soundwelle über die Stätte der Wissenschaft umherschweben. Es wird evident: Die Blechorgel sieht nicht nur toll aus, sie ermöglicht auch akustische Ereignisse der effektvollen Art.

   Natürlich sind auch Konzerte mit alltäglichen Rahmenbedingungen keine Mangelware. Wobei: Hier bleibt die stilistische Bandbreite beachtlich. Da wäre Radian zu erwähnen, jenes Trio, das Laptopelektronik mit instrumentalen Schlagwerk- und Bassmitteln koppelt und in der Generalmusikdirektion einen konzentrierten Abend des Pop-Minimalismus gab: Grooves werden angedeutet, nicht jedoch ausgewalzt. Man wirft Schlaglichter auf die rhythmischen Möglichkeiten der Musik; im Zentrum steht jedoch die akribische Gestaltung von Geräusch und Klang. Und wie der Abend älter wird, entfaltet auch diese ernste Soundkammer ihren Charme.

   In der List-Halle tönt Pierluigi Billones Muri III b per Federico de Leonardis ob des Reduktionismus irgendwie Radian-verwandt. Überzeugender indes James Clarkes aufgeladen-drängendes Zweites Streichquartett und Olga Neuwirths verspieltes In the realms of the unreal, das vom Arditti Quartet konzentriert umgesetzt wurde. Und nicht zu vergessen die Neuheit von Joanna Wozny: as in a mirror, darkly präsentiert das glänzende Klangforum Wien (Dirigent: Brad Lubman) als nervöses, percussiv geprägtes Stück mit Zäsuren, in denen Klangsinnliches nachschwingt. Gelungen.


Ljubisa Tosic



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