Pressestimmen


Salzburger Nachrichten - 18.10.2010
Einschlafmonologe im Hotelbett
Der steirische herbst ging am Sonntag zu Ende: 43.000 Besucher an 24 Festivaltagen - Hohe Auslastung

Alles muss raus: Beim "Last Brunch" Sonntagvormittag versteigerte der steirische herbst die Einrichtung des Festivalzentrums. Das am Sonntag zu Ende gegangene Festival braucht Geld, mit einem Budget in der Höhe von 3,6 Mill. Euro ist man unterdotiert. Darauf spielte auch das Linzer Künstlerkollektiv "quiOchÖ" an: Das eigene Projektbudget wurde auf einem Konto auf 100 Jahre veranlagt und dem herbst geschenkt. Im Jahr 2110 darf sich das Festival auf eine Million Euro freuen.

   Falls es die Veranstaltung und den Euro dann noch geben wird. "Unsere Finanzierungssituation ist nicht optimal, viel Unsicherheit begleitet unsere Arbeit", kritisiert die herbst-Intendantin Veronica Kaup-Hasler. Knapp 43.000 Besucher wurden bei den 248 Veranstaltungen des steirischen Festivals für Gegenwartskunst (Auslastung: 96,9 Prozent) gezählt. Einige davon haben bis weit nach Mitternacht ausgeharrt, etwa wenn der Schweizer San Keller eine Woche lang täglich abends von seinem Hotelbett aus über seine Tageserfahrungen monologisierte. Das an der Hotelbar sitzende Publikum hörte via Lautsprecher Kellers Stimme. So lang, bis der Schweizer Künstler in den Schlaf fiel.

   Nicht einschlafen, sondern sich gehörig ärgern konnte man sich am letzten Festivalwochenende über das Bühnenprojekt "Paris 1871 Bonjour - C-O-M-M-U-N-E" von "Showcase Beat Le Mot". Die vier Mitglieder des sonst ernsthaft agierenden deutschen Performance- und Theaterkollektivs geben vor, etwas von einer gescheiterten Revolution erzählen zu wollen. In Wahrheit wird verbal wie optisch mit Platitüden hantiert, das aufwendige und bedeutungsschwanger zelebrierte Projektions-, Bewegungs- und Musikspektakel erinnert an die Orientierungslosigkeit einer gescheiterten Schultheateraufführung. Einzige Lichtblicke: Der vor der Aufführung servierte Coq au Vin und das Polarisierungspotenzial der Aufführung. Letzteres fehlte dem von Edit Kaldor präsentierten Mandarin-Sprachkurs "C‚est du chinois" gänzlich. Wo fünf Schauspieler in achtzig Minuten dem Publikum 50 Worte und ein Gefühl für Fremdsein vermitteln, herrscht rundum Zufriedenheit: Man weiß nun, dass Reis Fan heißt. Nach dem Schlussapplaus kann man eine Lern-DVD um 6,99 Euro kaufen. Nett, harmlos, bekömmlich, vielleicht eine Spur zu lang. "Grand Tour" im Kunstverein Das Festival ist zu Ende, die Ausstellungen bleiben geöffnet. Obwohl die bildende Kunst im herbst ein Stiefkind ist, bieten die Grazer Institutionen wieder mehrheitlich hohe Qualität auf. Im Grazer Kunstverein etwa lädt der Schwede Matts Leiderstam zu seiner bereits von der Biennale in Venedig 1997 bekannten "Grand Tour". Der Titel bezieht sich auf Italien-Bildungsreisen kunstinteressierter Adeliger seit dem 17. Jahrhundert. Reisen, die neben der geistigen Erbauung auch dem erotischen Amusement der jungen Männer gedient haben. In zeitintensiven Recherchen widmet sich der 54-jährige Schwede der sexuellen Codierung der Kunst. Leiderstam kopiert, vergrößert, forscht, schlägt Brücken zwischen der Historie und aktuellen Sex-Treffpunkten für Homosexuelle. Sehr eigenwillig, sehr interessant. (Bis 19. 11.)

Martin Behr



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