Pressestimmen


Kleine Zeitung - 25.09.2010
Jongleure, Trickser und ihre Finten
Gestern Abend wurde in der List-Halle der steirische herbst 2010 eröffnet. Intendantin Veronica Kaup-Hasler erinnerte daran, wie nahe Ethos und Betrug liegen und woher die Dramen rühren.

Einst wurde hier Stahl gegossen, geschmiedet, gewalzt, etwa für die Grazer Murbrücken. Die "Maschinenhalle #1", die gestern Abend ihre Tore für den steirischen herbst 2010 öffnete, war also quasi auch ein Brückenschlag zum ehemaligen Industriestandort von Waagner-Biro. Statt Strangpressen, Vakuumanlagen oder Lichtbogenöfen wurden in der List-Halle jedoch Klangplatten, Computer und Automatenklaviere zum Laufen gebracht (siehe Kritik rechts).

   Nach der Performance hielt Veronica Kaup-Hasler ihre Eröffnungsrede zum Festival, das ja heuer dem Leitmotiv "Meister, Trickster, Bricoleure" folgt und die "Virtuosität als Strategie für Kunst und Überleben" zeigen will, in künstlerischen wie gesellschaftspolitischen Bereichen.

   Die Intendantin begann im Andenken an den jüngst verstorbenen Christoph Schlingensief, der ja dem herbst seit 1995 eng verbunden war. Erst als Autor, dann ließ er Obdachlose pfahlsitzen und regte mit einem Regen von Geldscheinen wohlbestallte Bürger zu Verrenkungen an. Für Schlingensief, der stets zwischen Witz und Provokation akrobatisierte und für Kaup-Hasler "eine zutiefst zeitgenössische Form des Künstlers als Virtuosen verkörperte", gilt wohl am besten eine der Definitionen für "Trickster": "göttlicher Schelm".

   Kaup-Hasler verwies freilich auch auf andere aktuelle Tricks: Auf die der Finanzjongleure, "deren Finten und Regelbrüche bevorzugt auf Kosten jener Menschen und Gesellschaftsklassen zu gehen scheinen, die ohnehin schon ausgegrenzt und um ihre Zukunft betrogen sind". Auf jene in fragwürdigen Wahlkampfaktivitäten. Und auf jene, mit denen der einzelne Mensch die Alltagsanforderungen etwa im Spagat zwischen Beruf und Familie bewältigen muss.

   Woran Kaup-Hasler durch ihre Urlaubslektüre (Götter- und Heldensagen) erinnert wurde: "Das Göttliche und die List, Ethos und Betrug wohnen in bester Nachbarschaft, schnell kippt das eine ins andere, der Aufstieg und der Fall, die Höhe, der damit verbundene Schwindel und das Schwindeln sind eng miteinander verbunden. An diesen Stellen des Betrugs, des Selbstbetrugs, der trickreichen Welt- und Lebensbewältigung formiert sich das, was man früher ,Drama' nannte."

   "Und wählen Sie!", hieß das Schlusswort von Kaup-Hasler. Freilich keine Wahlempfehlung für Rot, Schwarz oder sonstige Farben, sondern für ein spektrenreiches Programm, auf das sich das Publikum gestern bis weit nach Mitternacht in der List-Halle einstimmte und es bis 17. Oktober im Festivalzentrum tun kann, nämlich im forum stadtpark, wo gestern noch Hubstapler brummten und Kräne quietschten und nun der herbst den Ton angibt.

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   "Dabei sein, fernbleiben, mitspielen, aussteigen, Diskussionen führen. Lassen Sie sich darauf ein. Und wählen Sie!"

   Veronica Kaup-Haslers Wahlempfehlung für den steirischen herbst

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   steirischer herbst: Das Avantgardefestival unter dem Motto "Meister, Trickster, Bricoleure" dauert heuer bis 17. Oktober.

   Information und Karten: Tel. (0 31 6) 81 60 70, Karten-büro im forum stadtpark.

   www.steirischerherbst.at

UTE BAUMHACKL, FRIDO HÜTTER, WERNER KRAUSE, MICHAEL TSCHIDA



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