Pressestimmen


Der Standard - 21.09.2010
Wer spielt hier wen?
Zur Eröffnung des Steirischen Herbsts spielen Choreografin Christine Gaigg, Komponist Bernhard Lang und Elektroniker Wilfried Ritsch in "Maschinenhalle #1" virtuos mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Maschine.

Graz - "Ein Virtuose ist jemand, der eine bestimmte Fähigkeit bis zur Perfektion oder mithilfe einer besonderen Technik beherrscht." Auch wenn dieser Definitionsversuch aus Wikipedia ein wenig tapsig klingt, bringt er doch etwas Entscheidendes über Virtuosität ins Spiel: die Abhängigkeit des Virtuosen von etwas, das außerhalb von ihm selbst liegt, in der Regel ein Hilfsmittel, eine technische Vorrichtung wie zum Beispiel ein Musikinstrument - oder eine andere Maschine.

   Maschine mit Eigenleben

   Der Zauber, den Virtuosität auf das Publikum ausübt, verdankt sich entscheidend dem Wissensvorsprung des Virtuosen über die Funktionsweise solcher Vorrichtungen. Zugleich wird dadurch allerdings auch der Generalverdacht der Unlauterkeit auf die Virtuosen jedweden Fachs genährt. Seit sie im 19. Jahrhundert ans Rampenlicht drängten, wurde diskutiert, wie man billiges Blendwerk von wahrer Meisterschaft unterscheiden könne.

   Die Doppelgesichtigkeit von Virtuosität ist es auch, der sich der Steirische Herbst heuer verschrieben hat, geht es doch um "Meister, Trickser, Bricoleure" und um "Virtuosität als Strategie für Kunst und Überleben." Wie zeitgemäß man dabei in Graz denkt, zeigt sich daran, dass das virtuose "Jonglieren mit disparaten Anforderungen" im heutigen (auch gänzlich kunstfernen) Alltag ebenso reflektiert wird wie aktuelle künstlerische Grenzgänge, die den Begriff der Virtuosität auf je ihre Weise auf die Spitze treiben.

   Was geschieht etwa, wenn die Hilfsmittel der Virtuosität ein Eigenleben gewinnen? Um diese Frage kreist die Eröffnungsproduktion des heurigen Herbsts, Maschinenhalle #1 , die in der Helmut-List-Halle uraufgeführt wird:

   Raum, Menschen und Maschinen verschmelzen hier zu einer Art "Metamaschine", deren Ineinandergreifen so definiert wurde, dass sich aus einem Kompendium von Regeln ein festgelegter dramaturgischer Ablauf entwickeln kann. Dadurch ist so etwas wie eine spartenübergreifende Komposition entstanden, die von Choreografin Christine Gaigg, Komponist Bernhard Lang und Computermusiker Wilfried Ritsch in einem Raum- und Lichtkonzept von Philipp Harnoncourt in einem kollektiven Prozess entwickelt wurde.

   Rückkoppelungsprozesse

   Anstelle der üblichen Arbeitsteilung zwischen Musikern und Tänzern - die einen sorgen für die Klänge, die anderen interpretieren sie mit den Bewegungen ihrer Körper - hat das Künstlerkollektiv eine Interaktionsmaske entworfen, in der die Choreografie gleichermaßen die Musik auslöst und sie dann wiederum in Bewegung auflöst. Zwölf Tänzer agieren an zwölf Stationen, an denen sich jeweils eine Klangplatte und ein Automatenklavier befinden, wobei die Klangplatten die Funktion einer riesigen Tastatur erfüllen.

   Wenn sie durch die Schritte der Tänzer angeregt werden, entsteht nicht nur ein unmittelbarer Klang, sondern werden diese Impulse zugleich in ein Computerprogramm eingespeist, von diesem transformiert und in die Automatenklaviere mit ihren weit über das menschliche Maß hinausgehenden Möglichkeiten übertragen. Was dann erklingt, wird wiederum durch die sich bewegenden Menschen interpretiert.

   Aus für sich jeweils einfachen Regeln entsteht so ein hochkomplexes Geschehen, in dem die Tänzer in einem fortgesetzten Rückkopplungsprozess genau jene Klänge erzeugen, auf die sie dann wieder reagieren, wobei sich während dieses Feedbacks die wiederholten Strukturen ständig verändern. Dabei sollte allerdings deutlich bleiben, dass hier nicht eine Maschine blind waltet, sondern dass es Menschen sind, die die Regeln dafür ersannen: Die künstlerischen Möglichkeiten reichen von solistischen, chorischen und synchronen bis zu kontrapunktischen Konstellationen.

   Und auch der Abend als ganzer soll, darauf legen alle Beteiligten Wert, nicht einer Installation gleichen, sondern sich von Anfang bis Ende entwickeln. In der Schwebe bleibt allerdings eines: wer oder was hier von wem oder was gespielt wird.

   >> 24. 9. und 25. 9., Helmut-List-Halle (Herbst-Eröffnung), 19.30

Bild: Raum, Mensch und Maschine werden in "Maschinenhalle #1" zu einer Art "Metamaschine". Musik entsteht durch die Schritte der Tänzer auf einer riesigen Tastatur; ein Computer überträgt diesen Input auf Automatenklaviere, die wiederum Impulse für die Bewegung geben. Foto: Liebminger


Daniel Ender



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