Pressestimmen


Falter - 13.10.2010
Streichquartette können schmerzen, Oboen werden unterschätzt
Was ein Festivalbesucher in Graz so alles erleben kann (3)

 Donnerstag, 7. Oktober Liebes Tagebuch! Dritte herbst-Woche: Musikprotokoll. Es war eh ganz o.k., obwohl das Programm wohl schon einmal dichter war. Nach Mariano Pensottis ≥Enzyklopädie des ungelebten Lebens„ im Schauspielhaus, das man, weil die schönen Texte da echt verstadttheatert wurden, auch weniger gnädig als der Kollege kritisieren könnte (s. unten), ging das Protokoll in der Generalmusikdirektion los. Klingt nach einem Abend für Buchhalter, entwickelte sich aber total locker.

   Nach mehr als drei Jahren Bühnenabstinenz konzertierten die Wien-basierten Radian wieder einmal in Österreich und spielten sich im vielleicht elegantesten Club der Stadt durch das neue Album ≥Chimeric„, das, anders als ≥Juxtaposition„, zwar nicht von Tortoise-Postrocker John McEntire produziert wurde, aber trotzdem zwischendurch nicht schlecht rockt. Das heißt, wenn der an sich supere Schlagwerker Martin Brandlmayr nicht zu stark den Neuen Musiker raushängen lässt. Aber in ≥Git Cut Noise„ zum Beispiel, das klingt wie es heißt, ist deutlich hörbar, dass eine Verständigung zwischen E und U durchaus im Bereich des Möglichen liegt.

   Freitag, 8. Oktober Weil Festivals ja, wie es heißt, auch davon leben, dass man als Normalsterblicher nie alles sehen kann, was so geboten wird, haben wir heute einiges versäumt. Die ≥Roboterträume„, den zweiten herbst-Beitrag des Kunsthauses, haben wir aber gesehen, sie sind richtig gut geworden (s. auch Falter : Woche), das durchgeknallte Gruselkabinett von John Bock etwa, der den Film ≥Im Schatten der Made„ samt Requisiten zeigt. Wahnsinn! Schade nur, dass die tollsten Roboter in der Schau echt Kunst sind, also ruhen müssen, statt zu robotern.

   Das Konzert des Arditti Quartetts abends in der List-Halle mussten wir dann in der Pause verlassen. Nicht nur weil die Streichquartette von James Clarke und Pierluigi Billone so akustisch fordernd waren. ≥Plaque-Behandlung auf hohem Niveau„ hat jemand im Foyer kommentiert. Aber wir hätten sonst auch das vielgepriesene Duo Jonathan Burrows und Matteo Fargion verpasst, die mit ihrem mittlerweile vierten Pas de deux, den beiden fröhlich-rhythmisierten Action-Lesungen ≥Cheap Lecture„ und ≥The Cow Piece„, im Dom im Berg gastierten. Ähnlich wie Radian haben die beiden ˆ der eine Tänzer, der andere Komponist, beide eingefleischte Feldman-Fans ˆ ordentlich Gräben überbrückt, diesfalls zwischen Concept und Comedy. Als hätten die Sparks John Cages ≥Lecture on Nothing„ vertont. Das ≥Kuh-Stück„ war dann aber schon mehr Slap-Stück. Trotzdem, um bei Dentistenvergleichen zu bleiben: Wurzelbehandlungen sind ja auch nicht dann besonders gelungen, wenn sie besonders schmerzhaft ausfallen.

   Dass auch der Umkehrschluss nicht gestattet ist, hat das harmlos-nette Doppelkonzert von Max Min und Trouble over Tokyo im Festivalzentrum/Forum gezeigt. Da wären wir doch besser wieder in die List-Halle, wo das Klangforum Joanna Woznys ≥as in a mirror, darkly„ uraufführte. Soll nicht schlecht gewesen sein.

   Samstag, 9. Oktober Heute haben wir das ganze herbst-Symposium ≥Meister, Trickster, Bricoleure„ versäumt, darunter auch den Vortrag des Medientheoretikers Friedrich Kittlers, zur Strafe dafür Kittlers Text ≥Auf ins Überpolynomiale„ im herbst-Magazin quergelesen und ˆ bis auf den Titel ˆ auch ganz gut verstanden. Gar nichts haben wir im Musikprotokoll verpasst. Auch nichts bereut: Die drei Stücke, die das RSO Wien von Cage-Schüler James Tenney gab, gerieten gar zum Wochenhöhepunkt. Darunter ≥In a Large Open Space„, so etwas wie eine begehbare Orchesterskulptur im List-Hallen-Foyer. Einer Oboe war ich noch nie so nohe, und größenmäßig hatte ich dieses Instrument bisher grob überschätzt. Mit dem Fagott war‚s genau andersrum.

   Auch verdienstvoll: Klaus Lang, dessen gar lang geratenes Stück für Sologitarre ≥der blauäugige fremde„ zuvor noch von Anders Førisdal mit viel Respekt zur Ausführung gebracht wurde, wurde von Kulturlandesrätin Bettina Vollath mit dem Andrzej-Dobrowolski-Kompositionspreis ausgezeichnet, anschließend ließ Vollath Törtchen, Konfekt und Schaumwein springen, bevor es Martin Siewert nochmal in den Ohren prickeln ließ. Schon wieder Experimentalgitarre!

   Sonntag, 10. Oktober Nichts Schöneres, als ein Woche Neuer Musik mit frischen Werken von Studierenden ausklingen zu lassen. Peter Ablinger hatte ≥Klangwege„ abgesteckt ˆ aus dem guten alten Konzertsaal sollten sie herausführen ˆ, die Studierenden nahmen das Angebot freudig an. Lustig: das ≥Schall(platten)ballett„ von António Breitenfeld de Sá Dantas. Richtig gut: Matthias Kranebitters ≥Konzert für Cembalo und Ensemble in Es-Dur„, das sich an den Konzertsaal hielt, aber das Cembalo irgendwie ausließ. Und Americ Gohs ≥Cater to your taste„, bei dem das Publikum bei den Musikern maßgeschneiderte Improvisationen bestellen konnte. Schade, dass keine Oboe dabei war!

   Thomas Wolkinger ist ständig im steirischen herbst unterwegs

Thomas Wolkinger



created with wukonig.com