Pressestimmen


Der Standard - 27.09.2010
Theatralische Tricks in der Maschinenhalle
Der Steirische Herbst steht unter dem Motto "Meister, Trickster, Bricoleure": Am bestens besuchten Eröffnungswochenende wurde das Verhältnis von Mensch und Maschine in mehreren geglückten Produktionen erkundet.

Graz - Der Steirische Herbst zählt zu den wenigen Festivals, die sich ein Leitmotiv leisten. Diesmal geht es um "Meister, Trickster, Bricoleure", um das Virtuose in der Kunst und in der Lebensbewältigung: besonderes Können, listiges Bewerkstelligen und Veränderung von Zusammenhängen in einer regulierten Welt. Am Eröffnungswochenende ließen gleich drei Stücke in die Welt trickreicher Bastler ("bricolage" heißt im Französischen wörtlich "Bastelei") blicken, die dramatische Maschinerien und kommunizierende Automaten hervorbringen.

   Zu den Meistern unter den Bricoleuren gehören Künstler. Vor allem, wenn sie Erweiterungen oder Stellvertreter des menschlichen Körpers antanzen lassen. Das ist bei der choreografisch-musikalischen Inszenierung Maschinenhalle #1 von Bernhard Lang, Christine Gaigg, Winfried Ritsch und Philipp Harnoncourt ebenso der Fall wie bei Gisèle Viennes Horrorperformance This is how you will disappear und bei Annie Dorsens Groteske Hello Hi There .

   Alle drei Arbeiten räumen mit der Vorstellung auf, dass der Mensch ohne seine Apparate denkbar ist. Maschinenhalle #1 , uraufgeführt am Eröffnungsabend im weiten Hauptraum der Helmut-List-Halle, erinnert daran, dass das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine auch auf einer dramaturgischen List beruht: Künstler und Publikum wissen, dass die Spannung steigt, wenn es so aussieht, als würde die Maschine den Körper beherrschen. Von diesem Mythos lebt nicht ohne Grund eine gewaltige Unterhaltungsindustrie.

   Die Bricoleure in der List-Halle waren realistischer. Sie brachten Körper und Gerät in eine Feedback-Situation, in der keiner ohne den anderen funktionieren konnte. Zudem bildete die Individualität von zwölf ganz unterschiedlichen Tänzerkörpern einen aussagekräftigen Gegensatz zu den völlig identischen Apparaturen, auf denen sie sich bewegten. Diese bestanden aus einem Podest mit Metallplatte, einem Piano mit Spielmechanismus, einem Lautsprecher und einem Monitor.

   Nach Signalen vom Bildschirm bewegte sich pro Podest ein Tänzer auf der Metallplatte. Das Tanzen löste Impulse aus, die sich von der Platte auf das mechanische Piano übertrugen und Klänge hervorriefen, die Lang noch einmal sampelte. So produzierte dieses Dutzend Klangkörper ein fantastisches akustisches, visuelles und kinästhetisches Konzert.

   Der Nüchternheit des Konzeptuellen wurde mit dramatischem Licht und Theaternebel entgegengearbeitet. Dieser Trick kam zugleich mit einem anderen: dem Sichtbarmachen möglichst aller involvierten Funktionen. Diese Enttarnung gab der Arbeit zusätzliche Tiefenschärfe. Der Zuschauer konnte sich während des Ablaufs frei bewegen und gestaltete so selbst seine Dramaturgie.

   Wer anderntags Gisèle Viennes Stück This is how you will disap-pear im Mumuth sah, musste zwar sitzen, konnte aber Parallelen zur Maschinenhalle #1 entdecken. Hier wie da viel Licht und Rauch. Hier wie da ein als Performance getarntes Konzert. Und in beiden Fällen werden Maschinen getestet. Bei Vienne sind es allerdings die allgegenwärtigen, immateriellen Fiktionsmaschinen.

   Daher ist dieses Konzert auch noch eine Theaterarbeit, die einen Film in sich trägt, im Grunde aber eine Choreografie darstellt. Peter Rehberg und Stephen O'Malley konstruieren ein irrwitziges akustisches Paralleluniversum zu dramatisierender Filmmusik, hintergründig und fein abgestimmt mit Fuyiko Nakayas aufregender Nebelkomposition und Viennes Bühne, Choreografie und Regie.

   Unheimlich, da wie dort

   Es ist eine sinistre Arbeit über den Untergang einer Sportlerin, einen Rockstar und einen Trainer geworden. Diese drei bleiben aber bloß Spielpuppen in Viennes Erzählmaschine über das Tragische und das Unheimliche. Denn die Handlung dient als Apparat dazu, einen Archetypus zu beschwören, den Kern der Tragödie: das Verschwinden - also den Tod.

   Tot ist nicht tragisch, suggerieren dagegen die beiden Chatbots (plaudernde Computerprogramme) in Annie Dorsens brillantem, beim Steirischen Herbst uraufgeführten Stück Hello Hi There , das ganz ohne Livedarsteller auskommt. Die amerikanische Regisseurin ließ ihre beiden Bots über eine Diskussion zwischen den Philosophen Michel Foucault und Noam Chomsky "philosophieren". Der aus Algorithmen generierte Dialog ist zuweilen wirklich lustig - im Grunde aber sehr, sehr unheimlich.

Bild: "Maschinenhalle #1" in der ehemaligen Maschinenhalle: Bernhard Lang, Christine Gaigg, Winfried Ritsch und Philipp Harnoncourt brachten Körper und Gerät in eine Feedback-Situation. Foto: APA

Helmut Ploebst



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