Pressestimmen


Falter - 20.10.2010
Fock! Sind wir nicht alle viel zu alt für diese Welt?
Was ein Festivalbesucher in Graz so alles erleben kann (4)

Thomas Wolkinger ist ständig im steirischen herbst unterwegs

   Donnerstag, 14.10. Liebes Tagebuch! Was hat eigentlich ≥Utopie und Monument„ in den letzten Wochen so getrieben? Von der Kunstschau (Teil II) im öffentlichen Raum war so gar nichts zu sehen und hören, so subversiv, so virtuos unauffällig schmiegten sich die Werke ins Stadtbild. Zum Schluss war nun am Tummelplatz eine ≥Intervention„ von Studierenden des Kunstinstituts der TU angekündigt, die mit Entwürfen zum Thema ≥Raumtraum„ den Ausstellungspavillon erweitert hatten. Wir trafen bloß noch auf zwei junge Männer, die sortierten und fotografierten, was Passanten in ihre Plexi-Kunstklappe geworfen hatten. Na, Kunst war das keine! Es sei denn, man gesteht angeschnäuzten Taschentüchern und welkem Herbstlaub den Status von Ready-mades zu. Aber haben die Grazer ihren Duchamp wirklich so toll verinnerlicht?

   Nachdem wir uns bei Bonaparte erfrischt haben ˆ so etwas wie die Berliner Ausgabe von Drahdiwaberl anno 2010 ˆ, die zwar nichts mit dem herbst zu tun, die performative Wende aber auch ganz gut hingekriegt haben, gab es ein Wiedersehen mit qujOchÖ (die Linzer mit dem Sparbuch). Diesmal vermittelten sie im Forum-Keller ihre Vorstellung von ≥Leben in der Bar„, und man muss schon sagen, dass diese wohl in den tiefsten Achtzigern geprägt wurde: Vokuhila-Perücken, Trainingsanzüge, Stirnbänder, Duran Duran. Hm.

   Und weil ≥Bar„ so etwas wie das Wochenmotto zu sein schien, besuchten wir nachts noch die des Parkhotels. Dort konnte man dem Schweizer Künstler San Keller, bekannt für seinen Aktionismus mit menschlichem Antlitz, die ganze Woche beim Einschlafen zuhören. Sein ≥Monolog„ wurde aus dem Hotelzimmer via Lautsprecher in die Bar übertragen. Wir kamen gerade noch recht, um Keller leise ein paar unverständliche Sätze und dann unmissverständlich ≥Fuck„ flüstern zu hören. ≥Fock„, sagen die Schweizer. ≥Eingeschlafen„, erklärte die Kellnerin um 0.58 Uhr. Ja, das klang erleichtert.

   Freitag, 15.10. Die traditionelle Bilanz der herbst-Intendantin im Forum, das übrigens wirklich gute Figur als Festivalzentrum gemacht hat (der neue Club im Keller, die fahrbaren Kräuter- und Pflanzengärten im Hauptraum, den Anthony Saxton und Team vorbildlich servicierten, nicht zu vergessen das neue Festivalbier), fiel traditionell positiv aus. Veronica Kaup-Hasler freute sich mit Recht über eine satte Auslastung von fast 98 Prozent sowie über ≥starke Rückmeldungen„ des Publikums. Wermutstropfen angesichts der Budgetsituation im Land: ≥So unsicher wie jetzt haben wir noch nie gearbeitet.„ Das können derzeit viele Kulturarbeiter unterschreiben.

   Einsamer Höhepunkt der letzten herbst-Woche: Philipp Gehmachers neue Choreografie ≥in their name„, übrigens neben Pensottis ≥Enzyklopädie„ und der ≥Maschinenhalle„ eine der nicht so zahlreichen ≥echten„ Uraufführungen in diesem herbst. Vadim Miller hat den Ligeti-Saal des Mumuth in eine Kunstlandschaft, in eine Naturbaustelle von berückender Schönheit verwandelt, darin sich Gehmacher gemeinsam mit An Kaler und Rémy Héritier auf die Suche nach einer verlorenen Bühnen-Welt machen, in der früher einmal vielleicht auch um das Leben gerungen wurde. In Gehmachers Welt sind alle Schlachten geschlagen, ist Revolution auf Haltung reduziert, auf ≥Zurüstung„ ˆ angedeutet in den genialen Kostümen von Stéphanie Zani ˆ, auf Attitüde, die auch Erstarrung bedeutet. ≥Wir sind nicht tot, wir spielen nur„, heißt es an einer Stelle.

   Gehmachers Blick auf die Welt ist ein dunkler, ein tief melancholischer. Die Texte, die auf der Bühne gesprochen werden, evozieren ferne Kriege, graue Ozeane, monotone Hügel- und Hochhauslandschaften, die Theaterbühne selbst, ständig kollabieren die Körper der Tänzer, nehmen kurz Kontakt auf, erstarren in Momentaufnahmen, entfernen sich wieder voneinander. Die sinnliche Ebene drängt sich bei Gehmacher nicht auf, seine Arbeiten bleiben seltsam spröde, rätselhaft kalt, gewinnen dadurch eine seltene Souveränität. In einem Textloop, der an Emily Dickinsons ≥The sky is low, the clouds are mean„ anklingt, fadet der Abend aus. ≥I am too old for this„, sagt Gehmacher gegen Ende. Das Gefühl kennen wir. Vom Bonaparte-Konzert zum Beispiel.

   Auch die Herren der Berliner Performance-Band Showcase Beat Le Mot müssen Ähnliches gespürt haben, als sie sich im Next Liberty durch ihre schlampig zusammengebastelte Collage ≥Paris 1871 Bonjour ˆ C-o-m-m-u-n-e„ turnten. Mit großem Bühnenapparat die Hohlheit ˆ revolutionärer ˆ Inszenierungen zu ironisieren, hat etwas besonders Dekadentes, dazu passten der ˆ wohlschmeckende ˆ Coq au vin und der Shiraz aus Plastikbechern, die den Besuchern vorab zur Kommunion gereicht wurden. Kann ja sein, dass Scheitern wieder einmal Thema war, fad war‚s trotzdem.

   Samstag, 16.10. Das letzte Stück: Edit Kaldors ≥C‚est du chinois„, ein anfangs kurzweiliger Mandarin-Crashkurs, im Frontalunterricht abgehalten von einer vermeintlich chinesischen Einwandererfamilie. Verblüffend schnell lernen wir Grundvokabel (von Reis bis weinen), verblüffend schnell nützt sich der Effekt ab. Ein letztes Bier im Festivalzentrum. Am Sonntag war dann schon Winter.

Thomas Wolkinger



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