Pressestimmen


Der Standard - 18.10.2010
Krieg führen heißt aufgeben
Philipp Gehmacher unternimmt mit "In their name" einen Tauchgang in die Unterwelt der Kommunikation: Ein Meisterwerk, das als Schlusspunkt des Steirischen Herbstes uraufgeführt wurde.

Es sieht aus, als hätte jemand ursprünglich ein Haus bauen wollen und dann eine bessere Idee gehabt. Als hätte dieser Jemand mit ein paar Stangen, Pfosten und Planen zu spielen begonnen, sie an die Wand gelehnt, auf den Boden gelegt, versuchsweise auch ein Holzgestell gebaut, sogar ein Bild mit Wald und Gebirgshütte aufgehängt. Und sich danach mit etwas anderem beschäftigt.

   In der Mitte dieses durchaus dekorativen Arrangements (von Vladimir Miller) setzt sich das Publikum auf eine Tribüne. Unvermittelt tritt die junge Tänzerin An Kaler auf, hält die Arme vor sich und zieht ihre Hände hoch in Richtung Schlüsselbeine. Das ist die erste Geste in Philipp Gehmachers jüngstem Stück In their name , das zum Ausklang des Steirischen Herbsts im Grazer Mumuth uraufgeführt wurde.

   Sie wird zum Grundmotiv für ein Solo, über das sich zwei weitere Figuren in ein Spiel bringen, das wirkt, als wäre es aus einem bizarren Traum gerissen und in diese Bühnenkonstruktion eingespannt. Die Bewegungen der Tänzer - mit Kaler sind das der französische Tänzer Rémy Héritier und Gehmacher selbst - sind reduziert und konzentriert, zuweilen abgehackt. Immer wieder scheinen sich die drei Gestalten im Raum zu verirren.

   Bessere Menschen werden

   Héritier bricht das Schweigen und beginnt, eine Geschichte über drei Männer zu erzählen. Einer geht durch eine grüne Landschaft mit Wald und Fluss, der andere steht am Fenster eines hohen Gebäudes in einer Stadt und der dritte auf einer Bühne. Alle, so heißt es, finden sich damit ab zu sein, wo sie eben sind. Zwei wollen gern bessere Menschen werden. Vom Bühnenmenschen heißt es dann allerdings, sobald dieser gute Vorsatz geäußert ist: "Und er drehte sich um und sprach von etwas anderem." Daraufhin verliert einer der Tänzer die Fassung, stürzt, wird gerade noch aufgefangen, und der Erzähler beginnt mit einer weiteren Geschichte: von einem König und von Lords, von Soldaten, von einem Treffen und davon, dass Krieg führen eigentlich bedeutet aufzugeben.

   Wenig später taucht Kaler in einem coolen Motorraddress in den Farben Blau-Weiß-Rot der französischen Trikolore auf und stellt sich vor ein mit Leuchtstoffröhren in denselben Farben besetztes Paneel. Die Trikolore stammt aus der Revolutionszeit. Aus dem Spiel wird Ernst. Die Tänzer beginnen zu kämpfen, und Héritier sagt auf Französisch: "Die ein bisschen kalte Wahrheit: Ich liebe dich."

   Schnell ist indessen klar geworden, dass In their name einen Tauchgang in die Unterwelten der Kommunikation unternimmt, so wie Gehmachers Tanzsprache sich als ultimativer Ausdruck eines sich reflektierenden Körpers darstellt. Ultimativ, weil sie stets die inneren Konflikte dieser Reflexion sichtbar macht. Mit An Kaler übrigens erhält diese Sprache einen neuen, leichteren Duktus, und mit Héritier eine nüchterne Klarheit, die sich mit dem meisterhaften Tanz von Gehmacher selbst ideal verbindet. Selten hatte der Choreograf stimmigere Partner.

   Das Stück, das sich wie bei Xavier Le Roy in seiner jüngst in Wien uraufgeführten neuen Arbeit Low pieces auf Naturmetaphern bezieht, steht auf gleicher Höhe mit diesem Masterpiece und zugleich mit Schlüsselwerken etwa von Meg Stuart oder Boris Charmatz.

   In their name folgt auf Gehmachers und Millers Videoinstallation At arm's length , die im Frühling vom Tanzquartier Wien im Museum Leopold gezeigt wurde und wohl zum Besten dieser Art in der Gegenwartschoreografie überhaupt gehört. Mittlerweile gehört Philipp Gehmacher zu den Top Ten der avancierten zeitgenössischen Choreografen - daran gibt es nun keinen Zweifel mehr.

Helmut Ploebst



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