Pressestimmen


Neue Zürcher Zeitung - 02.12.2010
Methode West
Eine Franz-West-Retrospektive und andere Ausstellungen beim «steirischen herbst» in Graz

Die Breite ist im Thema angelegt, daher überrascht es nicht, dass mit dem diesjährigen Motto des «steirischen herbstes», «Meister, Trickster, Bricoleure», auch alle Register der Kunst gezogen werden. So widmet sich ein prominent besetztes Projekt im Aussenraum dem Verhältnis von «Utopie und Monument». Die fünfzehn Künstler und Künstlerinnen – eingeladen von der Kuratorin Sabine Breitwieser – versuchen unter den schwierigen Bedingungen des Aufmerksamkeitsverlusts im öffentlichen Raum, Kunst als «fait accompli» zu inszenieren. John Knights leere Fahnenstangen in der Grazer Herrengasse könnten ohne gezielten Blick höchstwahrscheinlich übersehen und Jutta Koethers schwarzromantische Collagenbilder an einer Tramhaltestelle als subversive Werbung verkannt werden, während Paulina Olowskas rekonstruierte Neon-Werbungen aus dem Warschau der siebziger Jahre auf dem Dach einer Tankstelle als Antimonumente bezaubern.

Beiträge von dreissig Künstlern zur Objektwelt und zur «Virtuosität des Dinglichen» sind in Glasvitrinen im Ausstellungsraum der gleichnamigen Fotozeitschrift der «Camera Austria» arrangiert. Das ruhige Wandern von Vitrine zu Vitrine kann man als willkommenes Moment der Entschleunigung verstehen, als Konzentrationsübung in einem sonst eher hektischen Kunstgeschehen.

Autotheater

Das Erstaunen und die Genugtuung darüber, dass Franz West, das späte Stiefkind des Wiener Aktionismus, zu einem international derart gefragten Gegenwartskünstler avancierte, stehen an vorderster Stelle seiner «Autotheater» betitelten Ausstellung. Im Vorwort des Katalogs vermerken die selbst nicht unmassgeblich an dieser Erfolgsstory beteiligten Kuratoren Kasper König und Peter Pakesch in Bezug auf Wests in den siebziger Jahren entstandene «Passstücke» – den tragbaren Skulpturen, die «im Rahmen der Kölner Westkunst-Ausstellung» 1981 erstmals zu sehen waren –, dass man von West «zu Recht als einem Aussenseiter der Kunst» gesprochen habe. «Damals hätte kein Mensch sich vorstellen können, was für eine Entwicklung West mit seinem Œuvre nehmen würde.»

Von dieser «Entwicklung» erhält man nun in Graz eine gewisse Vorstellung: Als Antwort auf eine Ausstellung des 63-jährigen österreichischen Künstlers 2008 in den USA konzipierten König, Direktor des Museum Ludwig in Köln, und Pakesch, einst Wests Galerist in Wien und heute Direktor des Kunsthauses Graz, eine umfangreiche «europäische» Retrospektive. Zu sehen sind in dieser Schau Arbeiten aus allen Werkphasen Wests, wenn auch neuere Arbeiten ab 2000 dominieren: heute bescheiden anmutende Passstücke aus Pappmaché, diverse Möbelobjekte, bemalte Skulpturenköpfe oder Installationen und Modelle der grossen, wurstförmigen, metallenen Freiluftplastiken, mit denen West in den vergangenen Jahren reüssierte. Es empfängt die Besucher in Graz vor dem Haupteingang des Kunsthauses auch ein durchaus dekorativer, rosaroter Metallklumpen – «Ein Hod» (2008).

Die Wortspiele des Künstlers, die in bester Wiener Manier oft nicht nur phallisch und fäkal, sondern manchmal auch untergriffig gewählt sind, gehören indes wesentlich zu seinen Arbeiten dazu. Man hängte ihm deswegen gern ein Philosophen-Mäntelchen um – von Wittgenstein bis Leibniz und Hegel –, aber oft bleiben seine Anspielungen aperçuhaft und kalauerartig, wie in der Installation «Dortmund und Gmünd» (1993), die aus zwei Holzschränken besteht, auf denen sich zwei der zahnlosen Kopfskulpturen befinden. Damit wird ein Siebdruck des Bildhauers Roland Goeschl kombiniert (im Wienerischen bedeutet «Goschn» «Fresse» oder schweizerdeutsch «Schnorre») – eine «multidialektische» Mundassemblage also. Verschrecken kann West heute mit seiner Antikunst allerdings nicht mehr so recht, und so sind sein grösstes Problem neuerdings die «schlechten Kopien» seiner Werke, wie er im Katalog feststellt.

Die Psyche

In zahlreichen Interviews hat sich der Künstler auch zur Psychoanalyse von Sigmund Freud oder Lacan geäussert, seine Passstücke sollten Neurosen zu plastischer Gestalt verhelfen. Die Arbeit «Psyche» (1989) besteht aus einem dreibeinigen Tisch mit einem dreiteiligen, boudoirartigen Spiegelaufsatz. In der violett bemalten Tischplatte befindet sich ein Loch, eine Art Abflussröhre – so präsentiert uns West auch Innenschauen in die Lächerlichkeiten der Seele und ist dabei manchmal überaus hellsichtig.

Rückblickend scheint eines seiner grössten Verdienste der Befreiungsschlag gegen die Bedeutungshuberei der Kunstheroen der 1970er Jahre zu sein, gegen Beuys und die – so West – ihn «deprimierenden» Wiener Aktionisten, denen er mit seinen Pseudo-Skulpturen witzige, nonchalante Antimonumente entgegensetzte. «Abseits einer hehren Ästhetik» (West) suchte er seine Kunst-Antworten in Korrespondenz mit der Umgebung und beschrieb dies als seine Methode. Dass seinem Werk mittlerweile selbst die Umgebung abhanden gekommen und dieses auch nicht mehr frei von einer solchen hehren Ästhetik ist, zeigt diese museale Retrospektive ebenfalls.


Patricia Grzonka



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