Pressestimmen


Salzburger Nachrichten - 27.09.2010
Grenzgänger, Spielernatur und Vernetzer
"steirischer herbst": "Autotheater"von Franz West im Grazer Kunsthaus - Rund 30 Arbeiten aus rund 40 Jahren

Martin Behr Graz (SN). Meteoritenartiges Gebilde oder doch eine Ahnung eines menschlichen Kopfes? Bei dem auf einem nüchternen Arbeitstisch ruhenden rot-weiß-gelben Etwas bildet sich eine Art Nase ab. Und ist diese Verkrustung nicht ein Kinn? Die Unsicherheit beim Betrachter ist beabsichtigt. Die 2001 entstandene "Gruppe mit Kabinett" erklärt der Künstler Franz West: "Diese Pappmaschee-Arbeiten schweben gewissermaßen zwischen dem Mechanischen und dem Organischen." Die Grundidee des Künstlers? "Die Kluft zwischen Objekt und Subjekt zu überwinden."Sinnliche Niemandsländer Willkommen in den sinnlich wahrnehmbaren Niemandsländern von Franz West. Nicht nur inhaltliche Deutungen sind unklar. Bei vielen Arbeiten des 63-jährigen Wiener Künstlers verschwimmen die Grenzen zwischen Sockel, Möbel und Skulptur. Sind die aus Polyester, Pappmaschee, Draht oder Gips geformten Gebilde nun autonome Plastiken oder bloß Requisiten für performative Akte? In der Retrospektive "Autotheater", die am Samstag im Grazer Kunsthaus eröffnet wurde, gibt es einige Aufforderungen des Künstlers zur Selbst-Aufführung des Publikums. Etwa die Einladung, sich in eine Kabine zurückzuziehen und vor einem Spiegel von Michelangelo Pistoletto mit Passstücken zu hantieren. Passstücke? Mit diesen Objekten (die ersten entstanden um 1974), die angegriffen, getragen werden sollen, forciert der Künstler die Interaktivität, nivelliert den Graben zwischen hehrem Kunstobjekt und Alltagsgegenstand.

   "Die Passstücke habe ich deshalb gemacht, weil ich es selbst, wenn ich in ein Museum ging, toll gefunden hätte, wenn man aktiv hätte reagieren können", sagt West, dessen "Autotheater" bereits im Kölner Museum Ludwig und im Museo d‚arte contemporanea Donnaregina in Neapel zu sehen war. "Die Objekte sollen verwendet werden. Die Beziehung zu den jeweiligen Trägern verleiht ihnen eine zusätzliche Dimension", erklärt West. Der Gebrauch erhöht den Kunstwert. West vergleicht die Passstücke mit einem Bühnenbild, welches man sich auch nicht nur allein, sondern eben mit den dazugehörigen Schauspielern ansieht.

   Rund 30 Arbeiten aus der Zeit von 1972 bis heute zeichnen in "Autotheater" das Bild eines eigenwilligen, experimentierfreudigen Künstlers, der auch auf Humor und Ironie nicht verzichtet. Franz West ist philosophisch gebildet und zugleich ein Schalk, eine Spielernatur, ein zielgerichteter Vernetzer im Betriebssystem Kunst und zugleich ein Schmähtandler, ein Neuerer und ein Abkupferer, ein international hoch geachteter Grenzüberschreiter mit Erdung im von Aktionisten und Wiener Gruppe aufbereiteten Kreativhumus der Donaustadt. Das Spiel mit dem Thema Sexualität ist seinem Oeuvre nicht fremd, vor der blauen Blase des Grazer Kunsthauses steht derzeit etwa eine in Rosa gehaltene monumentale Skulptur, die nicht als Hinkelstein zu interpretieren ist. Sie heißt "Ein Hod". Ein vielseitiger Schelm Glaubt man dem nicht selten schelmisch auftretenden Künstler, so entstehen seine Objekte in langen Arbeitsprozessen. Wichtig ist ihm die Titelgebung: "Endlich zwei gute Skulpturen" nennt er eine 2002 entstandene Installation aus einem Hocker, einem Plakatentwurf und eben zwei Skulpturen. Die Grazer Schau betont die westsche Vielseitigkeit, präsentiert auch Lampen, Sitzmöbel, collageartige Grafiken, Liegestätten, Labstücke, Skulpturenmodelle und noch einiges mehr. Im Katalog zu "Autotheater" schreibt Franz West: "Ich altere, bin noch fauler, als ich es war, und werde laufend durch Medien mit noch monströseren News bekannt, ich stumpfe denen gegenüber langsam ab und versuche den Vorgeschmack des mich erwartenden Elysiums in meinen Künsten zu materialisieren." Typisch Franz West: So ein Theater (bis 9.Jänner).


Martin Behr



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