Pressestimmen


Wiener Zeitung - 19.10.2010
Wir verstehen nur Bahnhof
Gehmacher langweilt beim "steirischen herbst". Edit Kaldor: Verstehen oder Nicht-Verstehen.

Der Raum macht neugierig: Die Zuseher sind eingeladen, auf einem pyramidenförmigen Stufenpodest Platz zu nehmen, das leicht aus der Raummitte gerückt ist. Für welche Seite soll man sich entscheiden? "Bühnenbild" ist ja eigentlich rundum: Holz- und Metallstangen lehnen an den Wänden, aus einem Gestänge ist ein Zeltgebilde geformt. Die Zuseher entscheiden sich instinktiv für die Perspektive in Richtung größere Spielfläche, und das erweist sich als klug. Wenn überhaupt etwas los ist in den folgenden anderthalb Stunden, dann dort.

   Der Raum hinter dem Zuschauer-Podest dient als Rückzugsgebiet der drei Darsteller, wo sie liegen, ruhen, sich umziehen oder einfach warten. Die Klugen haben sich einen Platz oben gesichert, was Rundumschau garantiert.

   Aber auch die hilft nicht weiter. "in their name" heißt die Tanzproduktion von Philipp Gehmacher, die am letzten Wochenende des "steirischen herbst" in Graz uraufgeführt wurde. Im "Mumuth", dem Musiktheater-Raum der Musikuni.

   Stereotype Gesten

   Gehmacher ist einer der hoch gehandelten Denker seiner Zunft. Mit Tanz hat das ohnedies nicht viel zu tun, mit Bewegungs-Virtuosität schon gar nicht. Schon mehr mit stereotypen Gesten, die leicht abgewandelt und gleichsam seriell neu montiert werden. Eine charakteristische Geste aus der Bewegungssprache Gehmachers ist das bizarre Wegstrecken des Arms mit verkrampfter Fingerhaltung. Das wirkt wie Schiele-Bildern abgeschaut. Aber trägt das einen Slow-Motion-Abend?

   In "in their name" dürfte es um Nähe und Ferne gehen. Und darum, ob und wie sich Menschen einander annähern, wo Distanz und Unverständnis bleiben oder doch ein Anflug von Synchronisation, Verständnis möglich ist. Das Gedankengebäude wirkt so dürftig die Latten an den Wänden. Was man unbedingt mitbringen muss für dieses Tanztheater, ist Geduld, noch besser: Phlegma. Es ist einfach nichts los und es entwickelt sich auch kein dramaturgischer Sog.

   Vielleicht will uns Gehmacher ja von der Einsamkeit in der Single-Ära erzählen. Dann hätte er das Thema schon getroffen, müsste sich aber sagen lassen, dass man so etwas auch anschaulicher, pfiffiger, vielleicht sogar ironisch erzählen könnte. Irgendwie wirkt "in their name" lähmend verkopft und bar jeder Distanz zu sich selbst. Die drei Darsteller (Rémy Héritieer, An Kaler, Philipp Gehmacher) geben auch Text von sich und es gibt ein sparsam-punktuelles Sound-Design (Andreas Hamza).

   Am Abend zuvor war in der Veranstaltungshalle im Schlossberg Rätselhaftes ganz anderer Art zu sehen, erstmals im deutschsprachigen Raum präsentierte Edit Kaldor, eine ungarischstämmige Weltenbürgerin, "C'est du Chinois". So sagen Franzosen, wenn sie Bahnhof verstehen. Fünf Chinesen - ohne Kontrabass, dafür mit Gong, Mundorgel und sackweise Utensilien - erzählen mit Händen und Füßen und einer ganzen Menge von Dingen eine Geschichte. Geht das, wo sie doch nur Chinesisch sprechen? Das Publikum darf, jeweils auf ein akustisches Signal hin, einzelne Wörter nachsprechen. Auch öfter, wenn's gar nicht klappt. Und aus diesen Wörtern, die man also nach und nach ins Ohr bekommt, wird eine simple Geschichte ausgebreitet, die in Shanghai ihren Anfang nimmt und einzelne Protagonisten nach Graz, pardon Glaz, führt. Da wird geheiratet, Kinder werden geboren, man arbeitet und so weiter.

   Worauf will Kaldor hinaus? Sie will sensibilisieren für die Gratwanderung zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen. Freilich glauben wir, was wir mit ein paar Wörtern zu (be)greifen meinen, aber es sind eben nur Zipfel vom ganzen Erzählgeflecht. Oder positiv gesehen: Es geht schon ein bisserl was, wenn man nur verstehen will.

   www.steirischerherbst.at


Reinhard Kriechbaum



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