Pressestimmen


Salzburger Nachrichten - 24.09.2010
Willkommen in der Welt der Tricksereien
"steirischer herbst". Das Grazer Festival startet heute, Freitag, mit der Performance "Maschinenhalle #1".

MARTIN BEHR GrAZ (SN). Wer zu viel trickst, gerät in Gefahr, um eine Fußfessel ansuchen zu müssen. Doch bis zu dieser finalen Einschränkung der Bewegungsfreiheit erscheint das Leben abseits der grauen Norm vielen als erstrebenswert. Das Geschick zu blenden, ist ein veritabler Wettbewerbsvorteil im Karrierekampf, egal ob in der peripheren Bankfiliale oder im Betriebssystem Kunst. "Meister, Trickster, Bricoleure - Virtuosität als Strategie für Kunst und Überleben", lautet das Leitmotiv für den "steirischen herbst", der heute, Freitag, mit der spartenübergreifenden Komposition "Maschinenhalle #1" (von Christine Gaigg, Bernhard Lang, Winfried Ritsch und Philipp Harnoncourt) in der Grazer Helmut-List-Halle eröffnet wird.Hütchenspieler und Bluffer "Interessant ist das Zwielichtige und Meisterliche des Virtuosen, das wir zum Beispiel in Finanzjongleuren erkennen oder in Hedgefonds-Managern, die versucht haben, uns eine Welt aufzubauen, deren Gegenwert gar nicht real existiert", erklärt Veronica Kaup-Hasler, die das steirische Festival für Gegenwartskunst seit 2006 leitet und kürzlich einen Vertrag bis 2014 unterschrieben hat.

   In diesem Interesse für Steuerhinterzieher, Heiratsschwindler, Hütchenspieler und andere Bluffer liegt es nahe, ein "Casino of Tricks" aufzusperren. Als Croupiers der im Festivalzentrum Forum Stadtpark aufgebauten Trickhölle auf Zeit fungiert das deutsche Kollektiv "geheimagentur". Die aus bummelwitziger Spaßkultur genährten Spielregeln (Einlass erhalten alle, die einen Trick verraten) verheißen mehr oder weniger glitzernde Retroabende. Rien ne va plus, nichts geht mehr, ist hoffentlich kein Motto des bis 17. Oktober dauernden Festivals, das in jüngster Vergangenheit Defizite in Sachen Abwechslungsreichtum sichtbar werden ließ. Bühnenfachfrau Kaup-Hasler etablierte Graz als Durchgangsstation im internationalen Theaterfestivalreigen, heuer machen unter anderem William Forsythe, Gisele Vienne, Gaetan Bulourde/Olivier Toulemonde, Showcase Beat Le Mot oder Edit Kaldon in Graz Station. Als Lokalmatador hat man erneut das Theater im Bahnhof verpflichtet, das mit der Produktion "Tod eines Bankomatkartenbesitzers" ein Einkaufszentrum zur Bühne macht.Virtuosität als Tugend Der "steirische herbst" beginnt kurz vor einer Landtagswahl, die vermutlich einen Kulturressort-Wechsel von der SPÖ zur ÖVP und mit Sicherheit einen rigiden Sparkurs im Betriebssystem Kunst mit sich bringen wird. Am Vorabend des Gürtel-enger-Schnallens handelt das zunehmend hermetischer agierende Festival das Thema ab, wie man "aus der Not eine Tugend" machen kann. Klingt fast schon zynisch, ist aber so nicht gemeint. Kaup-Hasler: "Das Tricksen ist in den Virtuositätsbegriff eingeschrieben, egal, ob das nun Starmusiker betrifft, Taschendiebe, Magier oder sogar Finanzjongleure."

   Schwarze, vegetabile Ornamentik, im Spraylook, wie man sie von Tapeten kennt: Mit diesem optischen Erscheinungsbild wirbt das Grazer Festival heuer dezent um Publikum. Im Vorfeld hat der Deutsche Peter Piller die Grazer Peripherie erwandert, seine spektakulären Ansichten des Unspektakulären liegen in Buchform vor. Eigentlich ein Widerspruch: Es geht auch ganz ohne Tricks.

Martin Behr



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