Pressestimmen


Wiener Zeitung - 22.09.2010
Hort des demokratischen Gewissens
Intendantin Veronica Kaup-Hasler im Interview. Eröffnung des Festivals am Freitag mit dem Projekt "Maschinenhalle".

"Wiener Zeitung": "Meister, Trickser, Bricoleure" - das Festspielmotto 2010 scheint direkt an die Finanzkrise anzuknüpfen. Wie wichtig sind Ihnen aktuelle Bezüge?

   Veronica Kaup-Hasler: Der Steirische Herbst sucht immer nach Leitmotiven, die aktuelle gesellschaftspolitische Fragen aufwerfen. Und die von der Kunst fruchtbar gemacht werden. Kunst beschäftigt sich nicht nur mit sich selbst, sondern nimmt Realitäten um sich wahr. Das Motto spielt mit verschiedenen Aspekten der Virtuosität, sei es die Frage danach, wie Virtuosität in der zeitgenössischen Kunst interpretiert werden könnte, oder die Frage nach virtuosen und schwindelerregenden Finanzkonstruktionen, die maßgeblich verantwortlich für die aktuelle Wirtschaftskrise sind.

   Hat das Virtuose in der Kunst nicht auch eine Negativkonnotation?

   Die Kunst hat ein naturgemäß skeptisches Verhältnis zu diesem Begriff. Das Negative daran ist die Oberfläche, das Verbleiben in der Täuschung. Hier kippt der Begriff in andere Bereiche. Die Virtuosität ist ja auch notwendiges Rüstzeug der Taschendiebe und Trickbetrüger. Da bedeutet Kunstfertigkeit, andere im Glauben zu lassen, dass da, wo nichts ist, real ein Gegenwert existiert. Sei es eine Kugel unter dem Becher oder ein finanzieller Gegenwert einer spekulativen Transaktion.

   Welchen Beitrag kann die Kunst in diesem Prozess leisten?

   Sie kann fragen, wie diese Systeme funktionieren, es zum Thema der Auseinandersetzung machen. Wie das Linzer Kunstkollektiv qujOchÖ etwa, das eine Kartografie von Betrugsfällen auf dem Finanzmarkt erstellt. Oder der Pianist Marino Formenti, der den Virtuositätsbegriff in Frage stellt, indem er sich acht Tage und Nächte im Stadtmuseum einnistet, um dort Morton Feldman und Klaus Lang zu spielen. Das Thema geht quer durch die Disziplinen bis zu William Forythe, der unser Verständnis von Ballett neu definiert hat. Die einzelnen Projekte sind autonom, aber das Leitmotiv dient als eine Art Lesehilfe.

   Virtuosität hat auch etwas Maschinelles. Welche Rolle spielt das Verhältnis von Mensch und Maschine?

   Das ist ein wichtiger Aspekt, denn es wird in einigen Produktionen etwa die Frage gestellt, in wie weit sich das virtuose Element, das beim Menschen auf natürliche Grenzen stößt, bei Maschinen fortsetzt. Und was deren Limit ist. Bei der Eröffnungsproduktion etwa - der "Maschinenhalle" - ist ein überdimensionales Instrument zentral, eine virtuose Maschine bestehend aus zwölf Automatenklavieren, die von den Bewegungen von zwölf Tänzern und Tänzerinnen gesteuert wird.

   Trickserei sichert oft auch das Überleben. Inwieweit kann Kunst Überlebensstrategie sein?

   Virtuosität ist mittlerweile nicht mehr nur eine Frage einer gut gebildeten Elite. Sie ist vielmehr zur gesellschaftlichen Alltagsanforderung geworden. Alles in Balance zu halten, Beruf, Weiterbildung, Familie - das ist Jonglieren an allen Ecken und Enden.

   Der Steirische Herbst hat auch eine starke theoretische Schiene. Wie wichtig ist Theorie für die Kunst?

   Essentiell. Das hat sich in den letzten 50 Jahren radikal geändert. In der bildenden Kunst hat Theoretisches dabei früh eine besondere Rolle gespielt. Auch als Konzeptkunst. Mittlerweile ist die Kunsttheorie auch stark ins Performative eingedrungen, vor allem bei Tanz und Performance der letzte 30 Jahre. Da wurden Fragen nach der Rolle der Körpers, des Tanzes selbst gestellt. Doch der Einfluss ist ein gegenseitiger. Theorie und vor allem Wissensvermittlung im Kunstkontext sind performativer geworden.

   Welche Tendenzen sehen Sie in der jungen performativen Kunst?

   Der Bereich ist heute sehr unübersichtlich, Strömungen sind da schwer zu lokalisieren. Von einer geschlossenen Avantgarde kann man heute nicht mehr sprechen. Das sind eher einzelne Spitzen. In den letzten Jahren waren es Einzelkünstler wie Christoph Schlingensief, René Pollesch oder Forced Entertainment, die markante Positionen bezogen haben. Was sich aber beobachten lässt, ist dass das Publikum stärker einbezogen wird, am künstlerischen Prozess aktiv partizipiert, sich nicht nur im Dunkel berieseln lässt.

   Günter Grass kritisierte, dass junge Autoren unpolitisch seien. Wie ist das im darstellenden Bereich?

   Das ist eine Frage des Blickes. Mich interessiert, wie Welt verhandelt wird und welche ästhetische Form sich daraus ergibt. Die Formen des politischen Agierens in der Kunst haben sich sicher verändert. Sie sind subtiler geworden. Doch es gab zuletzt auch andere Tendenzen in Richtung Privatheit. Sich aber ganz in die Betrachtung der bloßen Privatheit zurückzuziehen, das reicht künstlerisch nicht mehr.

   Ihr Festival ist auch stark in der Steiermark präsent. Wie erleben Sie den aktuellen Wahlkampf?

   Salopp gesprochen: Die Politik und das Festival haben derzeit einen ähnlichen Biorhythmus. Wir eröffnen am 24. September, am 26. ist Landtagswahl. Aber der Herbst startet dann erst richtig. Es ist erschreckend, wie inhaltsleer die politischen Debatten geführt werden. Und dass die lautesten Inhalte von der rechten Seite kommen durch das Ausspielen von einem rückwärts gewandten Heimatbegriff gegen Moscheen. Das ist widerwärtig und kreiert eine unangenehm xenophobe Stimmung, gegen die zu wenig getan wird von politischer Seite.

   Welche Rolle kann Kunst in diesen Zeiten spielen? Eine Vermittlerrolle?

   In die tagesaktuelle politische Debatte mische ich mich nicht ein. Doch ich halte den Steirischen Herbst für ein Festival mit starker Haltung, einen Hort des demokratischen Gewissens. Und für sehr politisch, wenn man sich mit Inhalten auseinandersetzt.

   Wie sieht Ihr Verhältnis zur Kulturpolitik des Landes, also zu Ihrem Subventionsgeber aus?

   Auch wenn von Seiten der Politik eine Stärkung des Festivals gewünscht wird, muss ich konstatieren: Wir arbeiten seit Beginn meiner Intendanz im Sparmodus. Und haben das Pech, dass unsere Fördervereinbarung Ende 2010 ausläuft. Das macht es schwer, zu planen. Sollte das nächste Subventionsbudget nicht mindestens auf dem Stand von heute sein, dann hat es der Steirische Herbst in dieser Form - als produzierendes Festival in allen Kunstsparten - zunehmend schwer, das erreichte Niveau zu halten. Weitere Kürzungen würden das Festival substanziell beschädigen.

   Ihr Vertrag läuft noch bis 2014, wie sehen Ihre Pläne aus?

   Wir stehen künstlerisch sehr gut da. Und sind wirtschaftlich im Sinne des Rechnungshofes. Das gilt es in trockene Tücher zu bringen, also einen Finanzierungsvertrag auszuhandeln. Ideen, Visionen und Projekte gibt es genügend. Es geht jetzt darum, zu entscheiden, welche davon realisierbar sind. Was ich bedauern würde: Wenn ich bis 2014 kein neues Musiktheaterstück zeigen könnte. Doch ohne klare finanzielle Zusagen sind große Projekte in diesem Bereich nicht realisierbar.

   "Die Formen des politischen Agierens in der Kunst haben sich sicher verändert. Sie sind subtiler geworden."

   "Von einer geschlossenen Avantgarde kann man heute nicht mehr sprechen. Das sind eher einzelne Spitzen."

Bild: Veronica Kaup-Hasler ist seit dem Jahr 2006 Intendantin des in Graz ansässigen Festivals Steirischer Herbst. steirischer herbst/corn

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 Steirischer Herbst 2010

   Die unterschiedlichsten Aspekte von Virtuosität stehen ab 24. September im Zentrum des Steirischen Herbstes. Den Auftakt macht das Projekt "maschinenhalle" mit zwölf Tänzerinnen und Automatenklavieren in der Grazer Helmut-List-Halle.

   Darauf folgen bis 17. Oktober Projekte aus allen Kunstsparten: Choreograph William Forsythe gastiert mit "I don't believe in outer space" zum ersten Mal mit seiner Compagnie in Graz. In Zusammenarbeit mit dem Schauspielhaus wird eine "Enzyklopädie des ungelebten Lebens" des argentinischen Regisseurs Mario Pensotti gezeigt. Im Tanz- und Theaterprogramm finden sich das Theater im Bahnhof, das britische Performance-Duo Lone Twin, die New Yorker Regisseurin Annie Dorsen und die Berliner Performance-Gruppe Showcase Beat Le Mot. Ein Höhepunkt wird die Ausstellung "Utopie und Monument II", deren erster Teil 2009 gezeigt wurde. Es wird die letzte Arbeit von Kuratorin Sabine Breitwieser, bevor sie im Oktober ihre Arbeit am Museum of Modern Art New York beginnt. www.steirischerherbst.at





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