Pressestimmen


Der Standard - 21.09.2010
Aus der Kälte dieser Welt
Die gefeierte Regisseurin, Choreografin und Puppenspielerin Gisèle Vienne zeigt ihr Stück "This is how you will disappear". Die Meisterin des Unheimlichen ist zum zweiten Mal zu Gast in Graz.

Wo die französische Künstlerin mit österreichischen Wurzeln Gisèle Vienne Hand anlegt, dort wird es ihrem Publikum abwechselnd heiß und kalt. Denn die 34-Jährige ist eine Meisterin des Unheimlichen in der zeitgenössischen Performance. Zum zweiten Mal ist sie nun, nach ihrem Einstand vor zwei Jahren mit dem brillanten Serial-Killer-Solo Jerk , beim Steirischen Herbst zu Gast. Diesmal mit der deutschsprachigen Erstaufführung ihrer neuen Arbeit This is how you will disappear .

   Vienne hat in Paris Philosophie studiert und in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre an der École Supérieure Nationale des Arts de la Marionette eine Ausbildung im Puppenspiel absolviert. Ihre eigene Tanzcompagnie, De l'Autre Côté du Miroir (DACM), gründete sie im Jahr 1999.

   Die Puppe ist bis heute ein tragendes Motiv geblieben, entweder als Präsenz oder als Echo, in jedem Fall als Erinnerung an das Abgründige, das Tote im Menschen - vor allem dort, wo alles schön, cool und stylish erscheint.

   Erstmals in Österreich waren Arbeiten von Vienne - damals in Kooperation mit Étienne Bideau-Rey - im Tanzquartier Wien zu sehen: ShowRoomDummies aus dem Jahr 2001 und Stéréotypie .

   Diese frühen Stücke hatten das Flair gehobener SM-Ästhetik, vermischt mit Reminiszenzen an Filme wie The Crow von Alex Proyas oder Atom Egoyans Exotica , ließen immer erst an Filmzusammenhänge denken, dann an die ambivalenten Körper bei Vanessa Beecroft und erst in weiterer Folge an Referenzen aus Theater oder Tanz.

   Mit dem amerikanischen Autor und Kritiker Dennis Cooper kooperierte Gisèle Vienne für Stücke wie I apologize und bald darauf dessen Fortsetzung Une belle enfant blonde / A young, beautiful, blond girl , Kindertotenlieder , Jerk und nun wieder für This is how you will disappear .

   Leerstellen füllen

   Zusammen scheinen die beiden eine Art Horror-Genre zwischen Choreografie, Puppenspiel und Theater für die Bühne zu entwerfen, das sie in eine gesellschaftliche Leerstelle füllen, die sich in einer kalten, kontrollierten Konsumwelt zwischen Design und Enhancement auftut.

   Wie ihre Puppen, so sind auch die Stücke der heute hochgelobten Künstlerin perfekt und präzise bis hin zur Penibilität gearbeitet.

   Nichts scheint dem Zufall überlassen zu sein. Auch dort, wo das Chaos ins Geschehen einbricht, hält die Form wie die Karosserie eines Luxuswagens, in dem ein Mord geschieht, wie die Unangreifbarkeit vortäuschende Fassade eines mörderischen Regimes oder dann im weiteren wie die trügerische Oberfläche der Bilder in Stanley Kubricks Spielfilm Eyes Wide Shut .

   Kein Wunder, dass Vienne, die heute in Grenoble und Paris lebt und arbeitet, sich auch in das Medium Film einbringt. Eine von ihr geschaffene Puppe spielt in Sablé-sur-Sarthe von Paul Otchakovsky- Laurens mit. Sie selbst taucht in mehreren Arbeiten des Regisseurs Patric Chiha als Schauspielerin auf - zuletzt in Domaine , wo sie auch ihr choreografisches Talent einsetzte, das bereits bei Show RoomDummies erkennbar war, diesem Verschiebebahnhof dämonischer Bilder, in denen Körper wie Gummifetische stolzieren, zu Tableaux vivants erstarren und von Puppen nicht mehr unterscheidbar sind.

   Armageddon im Wald

   Bei This is how you will disap pear haben sich die Figuren aus dem Latex geschält, und aus der nüchternen Bühne der frühen Arbeiten oder der Antibühne bei Jerk ist - über die Kindertotenlieder - eine als Realismus gedachte Szene geworden. Die Dummies haben sich in einen Sport- und einen Rock-Star verwandelt, die zusammen mit einem Trainer im dunklen Wald ihr Armageddon erleben. Im Wald hört sich immer schon der Spaß auf, er ist ein Symbol für die Urängste der Menschen, für das Verirren und Verlorensein. Auch das Schicksal der Protagonisten in dem Film Domaine , der übrigens gerade im Wiener Stadtkino zu sehen war, entscheidet sich in einem Wald ...

   >> "This is how you will disap pear", im Mumuth, 25.-27. 9., 19.30


Helmut Ploebst



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