Pressestimmen


Die Presse - 28.09.2010
Schnell verwehte Herbst-Spuren
Festival. Graz blüht im September mit vielen Ausstellungen auf. Allerdings nicht wegen des Kunstangebots beim "steirischen herbst" - der hat ein Minimalprogramm.

Mitten über den Platz verläuft eine gerade Linie aus verstreutem Couscous. Dieser zu Kügelchen geriebene Grieß ist ein Grundnahrungsmittel der nordafrikanischen Küche. Für Kader Attia aber ist es ein Mittel, um über das Leben von Migranten zu sprechen.

   "Mir schwebte eine poetische und politische Geste vor, die Realität und Wunschproduktion, Alltagswelt und Traum, Angst und Exil hervorruft - und die Unfähigkeit der heutigen Politik von Graz bis Istanbul, Frankfurt bis Kalkutta, Katar bis Wien zeigt, mit transnationalen Räumen umzugehen", erklärt der französische Künstler. Schnell verweht der Wind die Spur, treten die Passanten den Grieß auseinander und picken Vögel die Körner auf. Grenzen können verschwinden. Im Video dokumentiert, läuft diese Aufhebung der symbolischen Grenze jetzt zwischen den Werbeblöcken auf dem großen Monitor am Jakominiplatz und in den Straßenbahnen von Graz. "Die Arbeit ist ein auf den Boden gezeichnetes Statement zur Problematik, die ich in Graz erlebt habe."

   "Utopie und Monument II"

   "Der Mythos der Ordnung" ist Teil der von Sabine Breitwieser kuratierten Ausstellung im "steirischen herbst": "Utopie und Monument II". Während der erste Teil 2009 auf die zunehmende Privatisierung des öffentlichen Raumes reagiert hat, sollen die zwölf KünstlerInnen 2010 die Möglichkeiten von Denk- und Erinnerungsräumen ausprobieren. Das geschieht bisweilen allerdings reichlich um die Ecke gedacht, wenn John Knight die zwölf Fahnenmasten in der Herrengasse ohne Banner stehen lässt und erwartet, dass diese "Reduktion" zum Nachdenken über die "Aufmerksamkeitsökonomie der Werbung" führe, wie es der Pressetext formuliert. Überzeugend dagegen definiert Isa Genzken den öffentlichen Raum um, wenn sie quer über den Mariahilferplatz eine Wäscheleine spannt. Äußerst kontrastreich vor der barocken Kirche flattern malerische Materialien im Wind, auf denen Michael Jackson und eine Madonna zu erkennen sind - zwei Ikonen, die die Bandbreite von Erinnerungsräumen in unserer heutigen Öffentlichkeit treffend symbolisieren. Daneben stehen Rollstühle in edlen Vitrinen. "Wäscheleine" ist eine großartige Installation zwischen Medien, Kirche und Kunst, zwischen Design und Alltag, zwischen privat und öffentlich, zwischen Schönheit und Angst.

   So weit das Kunstangebot des Festivals. Gäbe es nicht noch die vielen Ausstellungshäuser in Graz, die pünktlich zum Festival eröffnen und teilweise aus dem Budget mitfinanziert sind, wäre das ein traurig stimmendes Minimalprogramm. Aber so blüht Graz im Herbst auf: Das Kunsthaus Graz zeigt eine umfassende Personale von Franz West, der Kunstverein lässt Matts Leiderstam in der "kanonischen Ordnung" der Kunstgeschichte "Verwirrung stiften", im Künstlerhaus Graz ist noch Albert Mayrs faszinierender Brunnen aus lauter elektrotechnischen Geräten zu sehen und Camera Austria zeigt dreißig Tischvitrinen. Jeder Künstler erhielt diesen beschränkten Raum, um einen Moment zwischen Bewegung und Stillstand fotografisch festzuhalten. Poetisch-drastisch spielt Björn Braun mit dieser Aufgabe, wenn er aus historischen Fotografien mal Vögel, mal Äpfel ausschneidet, um sie in einer neuen Ordnung zu platzieren.

   Macht und Sex

   Laut und bunt dagegen ist es im Medienturm in der Josefigasse. Raum für Raum mit laufenden Bildern gefüllt, fragt die Ausstellung anhand von zehn Positionen, wie KünstlerInnen Fernsehen benutzen. Marlene Haring wechselt pausenlos zwischen Lachen und Weinen - schaut sie gerade TV? Frederic Moser/Philippe Schwinger inszenieren die Clinton-Lewinsky-Affäre nach und betonen den engen Zusammenhang zwischen Macht, Sex und globalisierten Medien. Anders als im Wohnzimmer dienen die Bilder hier nicht der Unterhaltung, sondern der kritischen, aktiven Wahrnehmung - wodurch diese Ausstellung zwar unter dem Festivalthema der Meister & Trickser wenig einleuchtet, dafür aber "Utopie und Monument" umso perfekter ergänzt: Unsere Monumente heute - das sind die medialen Bilder.

   Kunsthaus Graz, Franz West, Autotheater, bis 9. 1. 2011; Camera Austria, Milk Drop Coronet, bis 9. 1. 2011; Künstlerhaus Graz, Albert Mayr, bis 14. 11. 2010; Grazer Kunstverein, Matts Leiderstam, Grand Tour, bis 19. 11. 2010; Medienturm, Verbotene Liebe: Kunst im Sog von Fernsehen, bis 27. 11. 2010.


Sabine B. Vogel



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