Pressestimmen


spiegelonline - 02.10.2010
Zaubern Sie sich reich!


Eine mysteriöse Truppe namens Geheimagentur bewegt sich virtuos entlang der Grenze zwischen Realität und Fiktion. Beim Grazer Festival Steirischer Herbst installieren die Künstler jetzt ein Casino, in dem man Zauberkunststückchen statt Geld einsetzt.

Können Sie einen Zaubertrick? Können Sie unliebsame Dinge verschwinden lassen? Oder sind Sie einfach gut im Vortäuschen, Mogeln, Überreden - all den Tricks, die man heute zum Überleben braucht? Dann auf nach Graz, denn hier ist Ihr Können bares Geld wert.

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Beim Steirischen Herbst, dem Kunst- und Kulturfestival, das seit jeher oft sehr klugen theoretischen Überbau mit oft sehr lustiger Praxis verbindet, heißt das Motto in diesem Jahr "Meister, Trickster, Bricoleure". Und dazu hat sich das Künstlerkollektiv Geheimagentur das passende Projekt ausgedacht: Im Festivalzentrum richtet die Agentur für acht Tage ihr "Casino of Tricks" ein. Spielanleitung: "Für jeden mitgebrachten Trick gibt es Spielchips, die sich in bares Geld verwandeln lassen." Dass man mit seinen Tricks früher oder später die Bank sprengt, ist hier ausnahmsweise mal gewollt.

Manipulation und Konsumgesellschaft

Denn natürlich hat das Ganze einen kapitalismuskritischen Hintergrund. Der Zauberer im feinen Abendanzug, getarnt als Gentleman, wurde zur gleichen Zeit erfunden, als die Industrialisierung dem Kapitalismus zu neuer, nie geahnter Macht verhalf, argumentiert die Geheimagentur. Kann das Zufall sein? Der Kapitalismus verwandelt die Dinge so schnell - Ware in Geld, Geld in nichts - wie das sonst nur ein David Copperfield kann. Manipulation gehört zu den Grundfertigkeiten der spätkapitalistischen Konsumgesellschaft. Und ganz ehrlich: Hatten Sie nicht auch schon mal das Gefühl, dass Sie im Büro mehr performen als arbeiten?

Die Künstlergruppe, die hinter diesem Projekt steckt, heißt nicht nur Geheimagentur, sie gibt sich auch entsprechend konspirativ: Natürlich sind die Mitglieder geheim. Keine Namen, nicht einmal Herkunft, Alter, Geschlecht geben sie preis. Während sich Literatur- und Theaterwissenschaftler darum streiten, ob Shakespeare wirklich so ein Genie war, oder nicht auch bei ihm eine ganze Agentur unter diesem Namen firmierte, macht die Performancegruppe "Geheimagentur" (angeblich mit Hauptsitz in Hamburg, aber wer weiß das schon so genau) die unklare Autorenschaft zum Prinzip. Jeder kann hier also Künstler sein, und jeder kann hier die Grenzen zwischen Kunst und Wirklichkeit neu definieren.

Klingt schlau. Möglicherweise ist die Theorie aber auch nur eine Täuschung, ein raffinierter Trick - und das "Casino of Tricks" ist in Wirklichkeit einfach ein großer Spaß.



Anke Dürr



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