Pressestimmen


Der Standard - 18.09.2010
Im Zwischenraum der Augenblicke


Die Regel eines Tricks heißt: "Mein Publikum sieht genau dorthin, wohin auch ich blicke." Darin liegt die Virtuosität der Zauberei. Von Matthias Anton

   Es ist fast schon zu naheliegend, den Zauberer als Virtuosen zu beschreiben: Spielkarten schlagen Volten, Münzen verschwinden und erscheinen oder verbiegen sich ohne sichtbare Kraftanstrengung, Geldscheine schweben durch die Luft - diese Leichtigkeit, diese Unerklärlichkeit, diese Fingerfertigkeit rücken den Zauberer in nächste Nähe zum klassischen Virtuosen, dem Pianisten.

   Eigentlich aber ist es nicht die Fingerfertigkeit, die den Zauberer zum Virtuosen macht, und vielleicht ist der Zauberer in dieser Hinsicht nicht einmal oder zumindest nicht in notwendiger Weise ein Virtuose. Einige der besten Tricks erfordern überhaupt keine nennenswerte Fingerfertigkeit.

   Zaubern ist Flirten

   Die Virtuosität des Zauberers ist eine andere: eine Virtuosität der Augen und der Augenblicke, eine Virtuosität der Aufmerksamkeit und des Sozialen.

   Vielleicht gibt es überhaupt nur einen Trick, den der Zauberer beherrschen, wirklich virtuos beherrschen und einsetzen können muss. Die Regel dieses Tricks heißt: "Mein Publikum sieht genau dorthin, wohin auch ich blicke."

   Sehe ich auf meine rechte Hand, dann tut mein Gegenüber dies auch, und meine linke muss nicht sehr flink sein, um eine Münze verschwinden zu lassen. Sehe ich meinem Gegenüber in die Augen, dann gibt mir das genau den Augenblick, den ich für meine Manipulation brauche - da ist keine Fingerfertigkeit mehr nötig.

   Der Trick beim Zaubern liegt nicht in den Händen des Zauberers begründet, sondern findet statt in diesem Blickkontakt und in diesem Zwischenraum zwischen den Augenblicken. Und genau das macht den gelingenden Zaubertrick zu einem sozialen Akt.

   Dem Virtuosentum eignet eine Überspanntheit, eine Übertreibung, der zugleich und immer die Gefahr des Scheiterns eingeschrieben ist. Die Virtuosität bringt sofort eine gewisse Fallhöhe ins Spiel, und der Versuch einer sozusagen sozialen Virtuosität ruft umgehend das soziale Scheitern auf die Szene, die Peinlichkeit und die Lächerlichkeit. Ein gescheiterter Zaubertrick ist mehr als nur ein Patzer, ein Ausrutscher im Handwerklichen: Ein gescheiterter Zaubertrick lässt eine soziale Situation kollabieren.

   Zaubern ist Flirten. Man kann nicht mit sich selbst flirten, man kann nicht allein zaubern. Immer geht es um die Erzeugung einer Begegnung, eines Zusammenspiels, eines Einverständnisses - und um das Erstaunen über die Möglichkeit einer solchen Begegnung.

   Und das, so scheint mir, ist der Zauber des Zauberns.

   Matthias Anton lebt als Projektemacher und Performancekünstler in Hamburg. Beim Steirischen Herbst 2010 betreibt er mit der geheimagentur das "Casino of Tricks".

...

Die Technik des Teilens

Meistens gebe ich mir für jede Aufführung ein Ziel, eine Art Haltung oder esoterischen Vorsatz. Über die Virtuosität des Tanzens. Von Philipp Gehmacher

   Ich bin kürzlich von einer Tournee in Südostasien zurückgekommen. Mehr als sonst habe ich dort den Druck auf mir gespürt, meine Arbeit vertreten zu müssen. Die Frage "Was ist meine Technik?" entwickelte sich zum zentralen Motor, da mein wenig spektakulärer Tanz doch einige Fragen aufwarf. Zumindest war das immer wieder meine Sorge. Und ich habe trotzdem wieder gelernt, es sind nicht alle gegen mich.

   Ich habe Fähigkeiten, ich kann was. Auch nur beim Stehen im Raum tue ich was, das weiß ich. Ich setze einen Punkt und lass die Zeit vorbeiziehen. Das Körper- liche kann ich im Schlaf, und es nervt höchstens, sich andauernd umziehen zu müssen, und dann das Laufen, Schwimmen, Auf- wärmen etc. Aber das Geben und Offensein, diese Technik ist über die Jahre sehr komplex geworden.

   Komplexität ist überhaupt das Schlagwort. Ich fokussiere mich auf meine Technik des Gebens, ich versuche immer offener zu werden, immer durchlässiger. Jeden Abend versuche ich, einen ehrlichen Bogen durch das Stück zu ziehen.

   Ehrlich, weil intendiert und mir selbst zugeschaut - gleichzeitig. In und vor der Landschaft. Das ist nicht von mir. Ja, das ist meine Technik. Ich bin extrem konzentriert, und da ein Grad an instantaner Komposition immer Teil meiner Arbeit ist, muss ich Wahrnehmung, Empfindung und gerichtetes Denken verbinden. Es ist immer der Wurf und das Geworfen-Sein. Das ist teilweise von mir. Meistens gebe ich mir für jede Aufführung ein Ziel, oft auch eine Art esoterischen Vorsatz oder Haltung. Manchmal mache ich die Show für meine verstorbene Großtante und dann wieder nur für mich. Aber gegeben muss die Show werden.

   Ein Miteinander finden

   Sind wir mehrere im Raum, versuche ich das Wir zu stärken, wir müssen ein Miteinander finden und den Grund für unser Tun überdenken. Meine Technik als Darsteller ist, an all das gleichzeitig zu denken, Komplexität zu schaffen und zusammenzuhalten. Die Aufführung wird zum Wurf, zur Welle. Und manchmal dann doch zur Last, wenn da jemand in der ersten Reihe schläft.

   Virtuos?

   Virtuos? Virtuos zu sein heißt für mich, all diese Dinge zu wissen, sich der eigenen Bedürfnisse, Gedanken und Ziele bewusst zu sein und irgendwie sich einen Weg durch dieses Mehr und Viel zu bahnen.

   Die Virtuosität besteht darin, diese Haltung des Bahnens zu finden. Die Virtuosität besteht darin, im Bahnen eine ungewohnte Kraft zu finden. Im Fluss des Immer-weiter sich zu finden. Körperlich virtuos bin ich geworden, als ich begonnen habe zu komponieren. Geistig virtuos möchte ich bald wieder einmal sein. Empfindungsvirtuos musste ich lernen, indem ich im Vielen begann zu schwimmen.

   Doch dann macht es plötzlich Spaß, und man wird virtuos und schwimmt gegen das Ganze an.

   Es ist schön, fähig zu sein. Nur wozu?

   Philipp Gehmacher lebt als Choreograf und

   Tänzer in Wien. Der Steirische Herbst präsentierte im vergangenen Jahr seine Installation "dead reckoning" (zusammen mit Vladimir Miller); heuer wird seine neue und größere Theaterarbeit "in their name" uraufgeführt.

...

   Virtuosität wird in unserer Ära der multiplen Alltagsanforderungen nicht mehr nur dem Virtuosen im engeren Sinn abgefordert, sondern in Wahrheit jedermann: Wer bestehen will, muss in der vielerlei Fähigkeiten geübt sein. Unter dem Motto "Meister, Trickster, Bricoleure - Virtuosität als Strategie für Kunst und Überleben" erkundet der Steirische Herbst 2010 vom 24. 9. bis zum 17. 10. das weite Themenfeld der Meisterschaft im Denken und Handeln. Nähere Informationen unter www.steirischerherbst.at



created with wukonig.com