Pressestimmen


Falter - 29.09.2010
Es ist sehr kalt in diesem Wald
Gisèle Vienne lud mit "This is how you will disappear" ganz herzlich zum Verschwinden ein

Es gibt eine eigenartige Überschneidung zwischen Arthur Millers ≥Hexenjagd„, die gerade am Grazer Schauspielhaus zu sehen ist (siehe oben), und Gisèle Viennes ≥This is how you will disappear„ im steirischen herbst: Beiden liegt eine Grenzüberschreitung zu Grunde, beide Male findet diese in einem Wald statt. Aber während Miller das Rauschhafte der Transgression seiner jungen ≥Hexen„ an sich so gut wie gar nicht interessiert, so ist genau das der zentrale Moment in der Arbeit der jungen Französin im Grazer Mumuth: der Wald als Motor sowie als Projektionsfläche der Triebe der sehr schematisch gezeichneten, im weitesten Sinne Schönheit verkörpernden Figuren ˆ ein Trainer/Bogenschütze, eine Athletin/Ballerina und ein Rockstar ˆ, deren Schicksale über dunkle Ereignisse bis hin zum Mord miteinander verknüpft sind.

   Überhaupt ist dieser Bühnenwald, in dem üppig kühler Nebel wallt (Fujiko Nakaya), ein echter Bussard und ein Uhu hausen, kein besonders freundlicher Ort. Nature morte gleichermaßen wie Tableau vivant, markiert er eine Schwelle, die ˆ etwa mit George Batailles Lektüre von Maurice Blanchots ≥Le Dernier Homme„ ˆ durchaus als eine Schwelle zur ≥Welt, in der wir sterben„, gelesen werden kann. Hier wird nicht gelacht! Und damit diese Idee gar nicht erst aufkommt, hat Vienne sich erneut auch der Unterstützung des Experimental-Metallers Stephen O‚Mally und des Wiener Elektronikmusikers Peter Rehberg versichert, die bereits bei ≥Kindertotenlieder„ gemeinsame Sache mit ihr machten. Und schließlich hat wie schon beim großartigen ≥Jerks„, das 2008 im herbst lief, wieder Dennis Cooper, ebenfalls kein Kind von Heiterkeit, ein paar Textbrocken beigesteuert, die aber, ganz Theater der Grausamkeit, nur Nebenrollen spielen. Nietzsche, Mahler, Artaud ˆ alle sind sie in Viennes Wald zu Gast.

   Mit O‚Mally und vor allem mit dessen Doom-Formation Sunn o))) hat der neunzigminütige Abend nun nicht nur die Vorliebe zum nebulösen Pathos und zur Naturmetapher gemein, sondern auch sein reichlich schleppendes Fortschreiten. Vienne setzt die Zeitlupe ˆ übrigens auch im aktuellen Kinofilm ≥Domaine„ des gebürtigen Wieners Patric Chiha, zu dem sie die Choreografie beisteuerte ˆ gerne als Stilmittel ein, um die Künstlichkeit einer Situation zu betonen, eine weitere emotionale Verdichtung zu erzielen. Das kann man auch übertreiben. Am schönsten gelingt der Abend, wo er bloße Symphonie aus Licht und Nebel sein will. Ähnliches hat allerdings im letzten herbst bereits Mette Ingvartsen mit ≥Evaporated Landscapes„ unternommen, und zwar derart brillant, dass es diesmal nicht zu überbieten war.

Thomas Wolkinger



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