Pressestimmen


Presse - 25.09.2010
Bandenspiele im herbstlichen Graz


Nach Graz fahre ich am liebsten im September. Wer sich nämlich der Stadt vom Osten nähert, vermeint besonders im "steirischen herbst" einen Hauch von Internationalität zu verspüren. In Wien mag es früher genügt haben, ein Häufchen im Hörsaal zu hinterlassen, um sich als Künstler von Weltrang zu fühlen, für Graz reichte das bereits 1969 nicht mehr. Dort, im Schatten des Uhrturms, muss man heimatverbunden und heimathassend zugleich sein, um in Fürstenfeld international etwas zu gelten. Damit waren selbst bedeutende Alpenexperten wie Thomas Bernhard überfordert. Wie sonst hätte er in "Heldenplatz" den leichtsinnigen Satz schreiben können, in Graz müsse man nicht gewesen sein?

   Ich bin also wieder in die steirische Metropole gefahren, um im schönen Schauspielhaus zu sehen, was es an neuester Dramatik gibt, aber schon bei der Ankunft auf dem Bahnhof geriet ich in einen Gewissenskonflikt. Sollte ich bis zur Herrengasse bummeln, wo die Parteien das Finale ihres Landtagswahlkampfes bestreiten, oder sollte ich in der Sackstraße erkunden, wie der "steirische herbst" sich auf seine Eröffnung vorbereitet? Im Theorieheft des "herbstes", dem schwer intellektuellen Überbau zur künstlerischen Praxis, erfahre ich, dass man sich heuer die Virtuosität zum Generalthema gemacht hat.

   "Masters, tricksters, bricoleurs. Virtuosity as a strategy for art. Leitmotif of steirischer herbst 2010", heißt es fesch auf Englisch. Trickster und Bandenspieler könnte sich auch auf Parteispitzen beziehen. Vielleicht hat der Bürgermeister deshalb abgelehnt, dass die Herbstler auf seinem Rathaus einen leuchtend roten Slogan aus Styropor anbringen. "Auf ein Wort" ist wirklich zu brisant in einem Wahlkampf, in dem jedes Wort zählt.

   Kurz vor der Landtagswahl ist nämlich der Besuch bei der Avantgarde besonders verwirrend. Die Grenzen zwischen Kunst und Machtkampf verschwimmen. Ich bin mir an so einem Eröffnungswochenende nie sicher, ob ich mich gerade in einer Polit-Show oder in einer aktionistischen Performance befinde. Ist der Klassenkampf, den die SPÖ und die KPÖ verströmen, gespielt oder echt? Sind die Lodenjackenträger, die das Wort "Hoamat" deklinieren, Funktionäre der ÖVP, der FPÖ, der Grünen oder doch verkleidete lateinamerikanische Schauspieler, die sich über irgendeine Junta lustig machen?

   Wer weiß das schon! Ich entscheide mich also weder für vorgetäuschte Volksnähe noch für gespieltes Brikolieren und besuche den listigen Dichter Alfred Kolleritsch in seiner Klause. Er bereitet gerade die Jubiläumsnummer der "manuskripte" vor. Seit 50 Jahren gibt er diese Literaturzeitschrift heraus, und das ist eine virtuose Leistung. Er hat die Weltliteratur hereingeholt nach Österreich. Ich lausche seinen Anekdoten über große und befreundete Schriftsteller, und jetzt weiß ich wieder, warum diese Stadt ganz ohne Tricks tatsächlich international genannt werden darf.

   norbert.mayer@diepresse.com

Norbert Mayer



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