Pressestimmen


artnet.de - 06.10.2010
Die alte Tante Gruppenschau


Vier Ausstellungen im Rahmen des steirischen herbsts in Graz: „Utopie und Monument II. Über die Virtuosität des Öffentlichen“ – Gruppenausstellung im öffentlichen Raum. Vom 24. September bis 2. November 2010; „Verbotene Liebe. Kunst im Sog von Fernsehen“ – Kunstverein Medienturm. Vom 26. September bis 27. November 2010; Matts Leiderstam: „Grand Tour“ – Grazer Kunstverein. Vom 26. September bis 19. November 2010; „Milk Drop Coronet. 30 Ausstellungen zur Virtuosität des Dinglichen“ – Camera Austria im Kunsthaus. Vom 26. September 2010 bis 9. Januar 2011

Es ist Herbst geworden. Und weil wir in Graz sind, heißt das steirischer herbst. So wie jedes Jahr, seit 1968. Seitdem schon findet Österreichs größtes Kunst- und Kulturfestival statt, dieses Jahr unter dem Motto „Meister, Trickster, Bricoleure. Virtuosität als Strategie für Kunst und Überleben“. Und wie immer gibt es neben Theatervorführungen und Performances auch eine Reihe von Ausstellungen. Es ist also „herbst“, der Wind weht Blätter über die Straße und der Regen peitscht unerbittlich durch die engen Gassen. Niemand ist unterwegs. Es ist ungemütlich. Auf dem Vorplatz der Mariahilferkirche schaukeln bunt gestreifte Stoffe an einer Leine, dazwischen Plastikplanen, bedruckt mit Bildern von Madonna oder Michael Jackson. Ikonen der Popgeschichte sind das, Jackson auf der Bühne, das weiße Hemd nach hinten weggeweht von der Windmaschine. Das passt zum Wetter, draußen in der Stadt.

Die Wäscheleine hat Isa Genzken aufgespannt und ist Teil der Ausstellung „Utopie und Monument II“, die auf den Straßen, Plätzen, Straßenbahnen und in den Zeitungen von Graz stattfindet. Unter die Wäscheleine hat Genzken zwei Rollstühle in viel zu hohe Glaskästen gestellt. Sie sehen wie Telefonzellen aus. Oder aber wie hochkant aufgerichtete Glassärge. Statt des Monumentalen die ironische Brechung, statt der Utopie die Gebrechen des Alters. Ja, die Skulptur im öffentlichen Raum, sie ist müde geworden – und die gestreifte Wäsche auf der Leine sieht plötzlich aus wie im Wind vergessene Daniel Buren-Werke. Ist es wirklich schon so spät?

Genzkens Beitrag ist einer der wenigen gelungenen dieser Ausstellung. Weil er über sich lachen kann, weil er das pubertäre oder aber senile Gebaren solcher Kunst-im-öffentlichen-Raum-Projekte auf den Punkt bringt. Und weil er der Utopie ebenso wie dem Zwang widersteht, irgendwie politisch und bedeutungsvoll sein zu müssen, wie er stets von Neuem aus dem öffentlichen Auftrag entspringt. Doch viele der anderen Arbeiten scheinen in vorauseilendem Gehorsam genau diesem Zwang zu erliegen: John Knights bemühter Versuch etwa, den Zusammenhang von Kulturproduktion, Werbung, Konsum und öffentlichem Raum dadurch zu thematisieren, dass er eine lange Reihe von Fahnenmasten in der Grazer Haupteinkaufsstraße unbeflaggt lässt. Abgesehen davon, dass dieser relativ simple Eingriff nicht imstande ist, die Türen zum konzeptuell behaupteten Spannungsfeld aufzustoßen, verwandelt sich Lange Tage der Freizeit auf ganzer Länge selbst in eine monumentale Geste, wenngleich eine Geste der Leere. Überzeugen können auch weder Andrea Frasers an allen Ausstellungsorten installierte Informationstafelarbeit You are here noch Paulina Olowskas Versuch, drei alte Leuchtreklamen aus Warschau auf das Dach einer ebenso alten Tankstelle am Andreas-Hofer-Platz zu transplantieren.

Auch die Ausstellung „Verbotene Liebe. Kunst im Sog von Fernsehen“ im Kunstverein Medienturm leidet an einer Art konzeptuellen Überalterung. Was sie will, steht schon im Titel, nämlich das Verhältnis der Kunstproduktion zur Bildermaschine Fernsehen untersuchen. Die Kuratoren wissen, dass das Fernsehen im Jahr 2010 nicht mehr das bevorzugte Medienschlachtfeld darstellt, und darum ist im Pressetext auch folgerichtig von einer „Alten Tante“ die Rede. Das Problem besteht nun aber darin, dass viele der Arbeiten – in Medienjahren gemessen – auch eher ältlich sind. Seien es Heimo Zobernigs kurze Loops und Blueboxexperimente, Reynold Reynolds‘ oder Christoph Draegers trashiges Katastrophenfernsehwohnzimmer oder die großartige Talkshowarbeit BEI MIR ZU DIR (tv . low-dunkel) von Judith Hopf und Stephan Geene – sie haben alle mehr als fünf Jahre auf dem Buckel und stammen damit aus einer Zeit, in der Fernsehen noch eine andere leitmediale Wirkmächtigkeit hatte. Ja, es geht schnell mit dem Fortschritt, und so krankt diese Ausstellung an einem obsoleten Konzept, das Fragen der Identitätsbildung ans Fernsehen heranträgt – während diese Funktion längst von den sozialen Netzwerken des Internets übernommen wurde. Hätte man untersucht, wie sich die Lumpensammlerin Kunst mit dem Fernsehen die nächste veraltete Medientechnik von der Resterampe nimmt und umdeutet, es wäre eine spannende Schau geworden. So aber liegt das Problem im kuratorischen Überbau. Dass man dann noch im Pressetext den Start der titelgebenden Fernsehserie „Verbotene Liebe“ von 1995 ins Jahr 2004 versetzt, liest sich vor diesem Hintergrund wie der berühmte Freud‘sche Versprecher. Da war Wunschdenken am Werk.

Hervorzuheben sind die Solopräsentation von Matts Leiderstam im Grazer Kunstverein und die großangelegte Gruppenschau „Milk Drop Coronet. 30 Ausstellungen zur Virtuosität des Dinglichen“ im raumschiffgleichen Kunsthaus Graz an den Ufern der Mur. Leiderstams Ausstellung „Grand Tour“ durchforstet die Kunstgeschichte. Sie arbeitet mit Lupe, Fotografien und vergrößerten Kopien Details aus kanonischen Gemälden etwa von Canaletto, Giovanni Battista Piranesi, Claude Lorrain oder Gustave Courbet heraus – Menschengruppen, Berührungen von Händen – und rekontextualisiert diese, indem sie ihnen anderes Material zur Seite stellt, einen schwulen Reiseführer von Venedig etwa. Ein netter, wenngleich an manchen Stellen etwas zu didaktischer Spaziergang durch die Kunstgeschichte, reorganisiert nach Aspekten von Gender und Machtpolitik. Spaß macht es.

Das gilt auch für die Gruppenschau „Milk Drop Coronet“, die sich ihren Titel bei der berühmten Fotografie eines Milchtropfens (1957) von Harold Eugene Edgerton borgt und diese auch gleich zum konzeptuellen Kern der Ausstellung macht. Um fotografische Bilder soll es nämlich gehen, auf denen „die Dingwelt in ihrer Erscheinungsweise aus dem Gleichgewicht oder in ihren Gewichtungen verschoben erscheint“. Doch das bleibt kuratorische Hintergrundmusik. Denn jedem der 30 eingeladenen Künstler wurde eine längliche Tischvitrine zugeteilt, die er oder sie frei bespielen konnte, und so hat man am Ende 30 Einzelausstellungen en miniature – ein Kompendium fotografischer Ansätze in der aktuellen Kunst: von Research-Ansätzen über Collagenartiges bis hin zu Thomas Bayrles didaktischem Ausflug in veraltete 3D-Techniken der 1980er-Jahre oder den seriellen Fotografien von Hans-Peter Feldmann. Eigentlich funktioniert dieses lose Nebeneinander gut. Mit dem doppelten Rahmen von Festival- und jeweiligem Ausstellungsthema ist hier ohnehin zu viel Überbau am Werk. Bei „Milk Drop Coronet“ gibt die Vitrine den Künstlern immerhin etwas, wenn auch wenig, konzeptuellen Freiraum zurück. Man wundert sich nur, warum niemand die Vitrine selbst thematisiert, sondern alle die Vorgabe brav erfüllen. So wie fast alle Künstler, in allen Ausstellungen. Ja, es ist „herbst“, und die Revolutionen, das war einmal. Durch das Fenster sieht man, wie sich die Fußgänger draußen auf der Straße gegen Wind und Wetter stemmen. Es wirkt, als kämen sie nicht vom Fleck.


Dominikus Müller



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