Pressestimmen


Kleine Zeitung - 30.09.2010
Aus dem Wortsteinbruch
Das Literaturhaus Graz widmet sich im steirischen herbst der 2007 verstorbenen Marianne Fritz. Besucher können ihr Textkonvolut fortschreiben.

Sie war ein Genie. Natürlich und selbstverständlich so", sagt Marlene Streeruwitz. "Ihr Werk ist ein singuläres, vor dem man nur stehen kann wie ein Muslim vor der Kaaba", sagt Elfriede Jelinek. "Ich halte ihre Romane für die wichtigsten des 20./21. Jahrhunderts, unverwechselbar", sagte der verstorbene Literatur-Doyen Wendelin Schmidt-Dengler. Verbeugungen vor einer ganz Großen, die sich selbst klein, fast unsichtbar machte.

   Für die scheue Marianne Fritz gab es "keine Person, sondern nur eine Person, die im Werk arbeitet". Die Schwerarbeit der gebürtigen Weizerin, die in Vorarlberg aufwuchs und in Wien in bescheidensten Verhältnissen lebte, war Widerhall aus dem Wortsteinbruch. Die Bürokraft, die die Matura nachholte und zeitlebens als freie Schriftstellerin tätig war, hinterließ nach ihrem Tod 2007 ein Œuvre, das umfänglich ein Riesenfels und inhaltlich eine Feingravur von Geschichte und Gegenwart war.

   Monumental

   Allein ihre Monumentalromane "Naturgemäß I" und "Naturgemäß II", sperrig in Grammatik, Form und Inhalt, umfassen 7000 Seiten. Das Fragment von Teil III ist nun in Graz erstmals öffentlich zugänglich, und das im wahrsten Sinn des Wortes. Das Wiener Theaterkollektiv Fritzpunkt kümmert sich seit 2002 um die Konvolute der Autorin, ließ etwa in Wien 1357 Menschen jeweils eine Doppelseite aus "Naturgemäß II" simultan in zehn Minuten fertig lesen oder breitete 2008 beim steirischen herbst elf Tage und Nächte lang ihren Proletarier-Roman "Dessen Sprache du nicht verstehst" aus.

   Nun hat Fritzpunkt für den herbst eine Ausstellung im Literaturhaus konzipiert, bei der Besucher mit Stiften, Farben, Post-its, Wollfäden u. dgl. die Sprachpolyfonien von Fritz auf Faksimiles spielerisch weiterkomponieren können. Ein Autoren-Sextett (u. a. Sophie Reyer und Clemens Setz) hat dies bereits getan mit dem labyrinthischen Text, "der sich vielfach grafischen Strukturen annähert und mehr an bildende Kunst als an Literatur erinnert", wie Hausherr Gerhard Melzer sagt. Spontanes Fortleben einer Unaufhörlichen also, von der schon ihr Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld einst wusste: "Es schreibt aus ihr."

   Fritzpunkt. Bis 8. Oktober (10 bis 18 Uhr) im Literaturhaus Graz.


Michael Tschida



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