Pressestimmen


Falter - 06.10.2010
Die Risiken der Mattscheibe
Der Kunstverein Medienturm zeigt auf, was Fernsehkonsum an gefährlichen Inhaltsstoffen freisetzt

Nach Film und Kino wendet sich der Kunstverein Medienturm in seinem diesjährigen Beitrag zum steirischen herbst dem Medium aller Medien zu. Glücklicherweise geht die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen dabei über eine gängige Kunst-Analyse der medialen Oberfläche hinaus. Immerhin betrifft das Phänomen ein allabendlich im Wohnzimmer beheimatetes Flirren. Schon im Frühjahr hat das Mumok in der Ausstellung ≥Changing Channels„ die kunstgeschichtliche Breite des Verhältnisses zwischen bildender Kunst und Fernsehen vermessen. Von den Sechziger- bis in die Achtzigerjahre war dort der Bogen über die künstlerische Reflexion des Massenmediums gespannt.

   Demgegenüber zielt der Medienturm nicht dezidiert auf ein Ausloten der künstlerischen Möglichkeiten zur Nutzung des Fernsehens für eigene Zwecke oder zur Infragestellung des Mediums im Medium. Von solchen kunsthistorischen Lasten befreit, wird das Fernsehen eher in seinen die Identität des Konsumenten erschütternden Grundfesten darzustellen versucht. Die in Kooperation mit dem Kölnischen Kunstverein produzierte Ausstellung ≥Verbotene Liebe. Kunst im Sog von Fernsehen„ lässt in Anlehnung an eine seit 2004 stets publikumswirksam reproduzierte Herzschmerz-Orgie gleich im Titel deutlich werden, dass es beim Medium Fernsehen tatsächlich ans Eingemachte geht: Um eine Erlebniswelt, die Handeln in Konsum verwandelt, um tagtägliches Mitleiden in perfekter Teilnahmslosigkeit, um ein wohl austariertes Verhältnis von Thrill, Info und interesselosem Wohlgefallen, womöglich gar um die Gefahr eines wohlweislich nicht in Kilogramm berechenbaren Existenzverlustes.

   Gleich im ersten Raum macht das die Installation ≥Apacalypso Place„ von Christoph Draeger und Reynold Reynolds klar: anhand einer vollkommen TV-süchtigen Familie, welche eine über sie hereinbrechende Katastrophe nur noch via Fernsehen wahrnimmt, bis schließlich einzig der Nachrichtensprecher überbleibt, um die letzten, dann schon von niemandem mehr gesehenen News zu melden. Wie nachhaltig das Fernsehen unser Denken und Handeln bestimmt, wie mühsam dabei die Rekonstruktion einer eigenständigen Identität werden kann, wenn man zum Beispiel selbst Titelheldin einer polnischen Fernsehserie der Siebzigerjahre war, in welcher jugendliche Träume und Wünsche vorgezeichnet wurden, zeigt Zuzanna Janin in ihrer Installation ≥Majka from the Movie„. Aufgeteilt auf mehrere Monitore, bleibt die wenig stringente Arbeit allerdings nur schwer rezipierbar. Und Omer Fast lässt aus der Montage von Worten, die CNN-Kommentatoren zu unterschiedlichsten Anlässen gesprochen haben, eine neue Geschichte entstehen, die nach dem Verhältnis von Fernsehen und Publikum zu fragen scheint.

   Dicht am Titel der Ausstellung baut das Künstlerduo BitteBitteJaJa (Ulu Braun und Roland Rauschmeier) eine surrealistische Collage aus ganz unterschiedlichen Fernsehbildern, welche den Mythos von Apollo und seiner in einen Baum verwandelten Daphne erzählt. Die eher kunstige Analyse zu Ästhetik und Wirklichkeit des Mediums liegt schließlich auch bei Heimo Zobernig in bewährten Händen. Schließlich birgt das Testbild genug Material zur minimalistischen Variation, und das Blueboxblau drängt sich einer Überlagerung mit Fremdinhalten genauso willig auf wie der beste Minimalismus. Dass in der Ausstellung auch rein mediale Rückkopplungen von Kunst und Fernsehen eingestreut sind, mag ja als Auflockerung im Desillusionierungstraining willkommen sein, verwässert aber schon ein wenig das Konzept.

   Kunstverein Medienturm, bis 27.11.

Ulrich Tragatschnig



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