| Touché! Die Kunst der dokumentarischen Berührung
| 39% Realität 51% Montage 10% Kinder
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Virtuosität bedeutet immer auch das Behaupten, Ausverhandeln, Übertreffen oder Unterwandern von Spielregeln und Konventionen – und so ist die Virtuosität der Dokumentarfilmkunst eine Art Duell zwischen Bild und Wirklichkeit. Den Anspruch, Realität abzubilden – oder wie es in der klassischen Fechtkunst heißt: zu treffen, ohne getroffen zu werden – hat der Dokumentarfilm längst aufgegeben: Befreit davon, die Wirklichkeit möglichst realitätsnah und objektiv einfangen zu müssen, kann er mit ambitionierten Argumentationen und Strategien die Zuseherinnen und Zuseher selbst in das Duell verwickeln: Um welche Spielregeln geht es, wie wird getroffen, ohne getroffen zu werden?
Die Virtuosität der dokumentarischen Form zwischen Zeigen, Betrachten, Zuschauen und Zuhören ist auch inhaltlich Programm: Kompetenzen, skills und der richtige spirit zirkulieren als Kunstgriffe auf dem Markt der Persönlichkeiten: Man verkauft sich. Vor allem junge Menschen sehen sich einem chronischen Bildungs-, Flexibilitäts- und Integrationsdruck ausgesetzt, dessen Erfüllung nicht unwesentlich über ökonomischen und gesellschaftlichen Erfolg entscheidet. Gleichzeitig entziehen sich ihre familiären, sozialen, gesellschaftlichen und politischen Lebenswelten immer mehr jeder Vorstellung von Normalität: So wie bei Edna, die in der Schule manchmal vergisst, das da noch eine Klasse ist, bei Nico, der keine Freunde findet und stattdessen Computer repariert, Süßigkeiten im Kiosk verkauft und abends das Licht in der Schule ausmacht, oder bei David, der die Stadt für sich erobert, oder bei dem Mädchen, das schläft.
Trifft der Dokumentarfilm hier auf jene, die etwas können und zu zeigen haben, und auf jene, die bloß zusehen können? Welche Normen gelten noch (im Leben wie im Film), welche müssen neu erfunden, zumindest aber ausgetrickst werden?
Auftragswerk steirischer herbst
In Kooperation mit doxs! Duisburger Filmwoche & Goethe-Institut München
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